Macabros 112: Totenheer "Nekromos"
verborgen in ihm schlummerte, war zu neuem Leben
erwacht. Ein unheimliches Tier, ein Drache…
Ein dunkler Schleier verbarg die Welt, die sie noch wahrnahm,
obwohl sie tot war.
Tot…
Sie mußte über diesen Begriff nachdenken. Damit verband
man etwas Endgültiges, Abgeschlossenes.
Aber es ging weiter.
Sie meinte, durch einen Schacht zu gleiten, der jedoch nicht in
die Tiefe, sondern aufwärts führte.
Seit dem Ereignis war erst eine Sekunde vergangen, und doch hatte
der Geistkörper, das überdauernde Bewußtsein Eve
Taskins, das Gefühl, als wäre sie schon Stunden
unterwegs.
Was sie vermißte: sie konnte kein Glück empfinden und
sich nicht an dem Schwebezustand erfreuen, in den sie geraten
war.
Das unterschied ihre Situation von der jener Menschen, die vom Tod
zurückgeholt worden waren und von einer herrlichen Landschaft,
von einer unbeschreiblichen Leichtigkeit und Harmonie zu berichten
wußten. Sie sehnten sich wieder nach › drüben ‹
und machten den Ärzten Vorwürfe, daß sie sie
zurückgeholt hatten.
Eve Taskins Geistkörper sehnte sich zurück.
Wahrscheinlich deshalb, weil keine natürliche Krankheit dem
Leben ein Ende gesetzt hatte, sondern sie durch die Hand eines
Mörders starb.
Aber das war noch nicht alles.
Instinktiv fühlte sie, daß das Reich, dem sie sich
unaufhaltsam näherte, ein Gefängnis und keine Freiheit sein
würde.
Sie fühlte sich bedrückt und beklommen.
Angst breitete sich in ihr aus.
Sie vermißte die schillernden, unbeschreiblichen Farben des
Jenseits, von denen Menschen, die solche Erlebnisse gehabt hatten,
berichteten.
Alles war Grau in Grau, hellte sich etwas auf in ein fahles Braun
– und dann kam auch schon der starke Sog, der ihren Geist in
unvorstellbare Ferne schleuderte.
Es war alles ganz anders, als sie in diesbezüglichen
Büchern und Illustrierten gelesen hatte.
Ihr Sterben vollzog sich in einer anderen Richtung!
Ihr Geist, ihr Bewußtsein wurde auf einen Weg gezwungen, der
unnatürlich war.
Stuart Mayburry, das Ungeheuer in Menschengestalt, schien als
einziger zu wissen, was er damit bezweckte.
Er hatte von Unterstützung gesprochen. Der Name Molochos war
gefallen… Rha-Ta-N’mys getreuer Diener… die Welt der
Dämonen und des Unheils spielte in seinem Denken eine
große Rolle. Mayburry arbeitete Hand in Hand mit geheimen
Mächten. Und niemand ahnte etwas von der Gefahr, die er
verbreitete.
Eve Taskins Geistkörper wurde durch einen brodelnden Schleier
geworfen.
Die Farben Dunkelbraun und Fahl waren plötzlich bestimmend.
Dann fühlte sie wieder eine gewisse Schwere, wurde durch etwas
gestoßen – und spürte plötzlich Boden unter
ihren ›Füßen‹. So jedenfalls hatte sie den
Eindruck.
Die Welt war da!
Eve Taskins Geistkörper war im Jenseits angekommen…
*
Lichtlos und beklemmend war die Atmosphäre, die sie
umgab.
Ohne sich umzuwenden wußte sie, woher sie kam.
Hinter ihr lag ein seltsamer Teich, der aussah, als würde er
aus Blut bestehen.
Das Blutsiegel des Molochos! In ihm lebten all jene Szenen, die
sie auch auf dem kleinen münzgroßen Gegenstand
wahrgenommen hatte, der die eine Seite der tödlichen Klinge von
Mayburrys Dolch zierte.
Die Ungeheuer in dem See lebten und lösten sich aus
gewaltigen Blasen, die wie überdimensionale Blutstropfen
aussahen. Die Horror-Gestalten reckten gierig ihre Klauenhände
aus dem brackigen Wasser des roten Sees.
Die Welt war eigenartig, fremd… sie kam sich verloren darin
vor.
Seltsame Pflanzen wuchsen überall, waren ein Mittelding
zwischen Raum und überdimensionalem Grasbüschel.
Eve Taskin sah sich so, wie sie am Abend von London weggefahren
war.
An diesem Abend? Jegliches Zeitgefühl war ihr verloren
gegangen. Wie in einem Traum…
Sie war nicht die einzige.
Unweit des Sees, der aussah wie ein riesiges Siegel und in dem
rötliche Nebelfahnen zurücksanken wie Protuberanzen, sah
sie eine Gestalt.
Eine Frau mittleren Alters.
Sie stand leicht nach vorn gebeugt; ihr Kopf war auf die Brust
gesunken, die Arme hingen schlaff an den Seiten herab.
Unendliche Trauer und Verlorenheit erfüllten auch Eve Taskin.
Sie hatte etwas verloren… es kam keine Harmonie auf, sie
fühlte sich von den anderen getrennt, obwohl unzählige
Gedanken, die von irgendwoher kamen, Eingang in sie fanden.
Es waren die traurigen Gedanken der Menschen, die gleich ihr an
diesen schrecklichen, einsamen Ort geraten waren.
Viele auf die gleiche Weise wie sie!
Man hatte sie ermordet!
War dies das
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