Macabros 112: Totenheer "Nekromos"
des Blutsiegels offen war.
Carminia Brado wußte, daß sie alles riskierte.
Hier im Jenseits stand sie auf einem Abstellgleis. Eine Welt,
hermetisch abgeschlossen. Die Sphäre des Blutsiegels aber lebte,
war in Bewegung und führte irgendwohin. In eine andere Zeit, in
einen anderen Raum? Es konnte nur die Welt der Menschen sein. Sie
kamen aus dem Leben in den Tod. Umgekehrt mußte es also auch
möglich sein.
Noch ehe die Umrisse des unheimlichen Siegels verblaßten,
warf sie sich in die blutroten Nebel, die darüber
hinwegwebten.
Sie wußte, daß es ihr Tod sein konnte.
Auch das kalkulierte sie ein…
*
Es raubte ihr den Atem.
Sie rechnete damit, von einem Sog gepackt und irgendwo ins Nichts
gerissen zu werden. Sie erinnerte sich genau an die Beschreibung
Björn Hellmarks, dessen Weg auch schon einmal durch das
Blutsiegel des Molochos geführt hatte. Aber da handelte es sich
um das Original-Blutsiegel, das es nur einmal gab. Dies hier war eine
Kopie, über dessen Herkunft und genaue Wirksamkeit sie nichts
wußte.
Das Gegenteil von dem, was sie erwartet hatte, trat ein.
Sie meinte, gegen eine unsichtbare Wand zu springen.
Die Wucht, mit der sie dagegenstieß, war wie ein Schlag ins
Gesicht.
Carminia Brado flog zurück, verlor den Boden unter den
Füßen und stürzte.
Das Blutsiegel verschwand, und die Welt des bedrückenden und
beklemmenden Jenseits umgab sie nach wie vor.
Molochos’ Ankündigung, daß es keinen Ausweg
für sie aus diesem Reich gäbe, erwies sich als richtig.
Das Blutsiegel war eine Tür nur von außerhalb und
ließ sich nur nach einer Seite hin öffnen.
Aber es gab auch einen Ausgang. Der jedoch war nur dem
Dämonenfürsten bekannt.
Carminia Brado lag auf dem weichen, schwammartigen Untergrund und
schlug mit ihren Fäusten immer wieder hinein.
Sie wußte keinen Ausweg mehr.
Sie war ihrem Peiniger auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Molochos konnte sich dieses Gefängnisses offenbar völlig
sicher sein. Als einzige Lebende befand die Brasilianerin sich unter
den Geistern von Toten.
Molochos allein kannte den Weg nach draußen. Er selbst hatte
ihn benutzt.
Aber wo er sich befand, wußte sie nicht. Wie sie auch nicht
wußte, wo Molochos jetzt war und wie weit seine schrecklichen
Pläne zur Vernichtung Björn Hellmarks gediehen
waren…
*
Sie waren weiter gediehen, als sie ahnen konnte. Molochos hielt
sich außerhalb des Jenseits auf.
Er befand sich in einer großen Höhle. In flachen
Schalen züngelten niedrige Flammen und tauchten die
Atmosphäre in gespenstischen Schein.
Die Flammenschalen bildeten einen konischen Kreis, in dessen
Mittelpunkt der Dämonenfürst kauerte.
Sieben Feuer waren es, die Molochos entzündet hatte.
Vor jedem verbeugte er sich tief. Seine Stirn berührte das
Feuer. Die Flammen züngelten über seine Haut und
versickerten in sie, ohne sie zu verbrennen.
Es war ein magisches Feuer, das mit dem bösen Feuer in seiner
Seele und seinem Wollen übereinstimmte.
»Menat«, murmelte Molochos ergeben an diesem einsamen
Ort, und es gab keinen Zeugen dieser Worte und dieser Szene. Der
mächtige Molochos wandte sich an einen hohen dämonischen
Geist um Hilfe. »Dies ist mein drittes Ritual. Ich bin
mächtig – und mein Ziel ist es, das Menschenreich der
Lebenden wie der Toten zu bezwingen. Ich bin nahe daran. Schon
zweimal hast du mir gezeigt, daß du dich nicht verweigerst. Du
hast mich sehen lassen, wohin mich mein Weg führen kann, wenn
ich mich des Totenheeres bediene…«
Molochos hatte die tiefe Einsamkeit in den Höhlen
gewählt, um von niemand gesehen zu werden.
Dies war die Vergangenheit Xantilons, jene frühe Zeit, in der
er selbst noch nicht geboren war und die er mit Hilfe der räum-
und zeitdurchreisenden fliegenden Stadt erreicht hatte. Es war seine
erklärte Absicht gewesen, in der Vergangenheit einen
Veränderungseffekt zu erzielen, der sich bis auf die Zukunft
auswirkte, um dort leichteres Spiel zu haben. Diese Veränderung
betraf die Existenz Björn Hellmarks, jenes Mannes, der den
Dämonen Tod und Vernichtung geschworen hatte.
Ausgerechnet das unplanmäßige Auftauchen Hellmarks und
seiner Freunde in der Stadt hatte sein Konzept über den Haufen
geworfen.
Molochos verfluchte die Stunde, in der er sich entschlossen hatte,
Björn Hellmark im Ewigkeits-Gefängnis festzuhalten, statt
auf der Stelle zu töten. Er wollte den Triumph genießen,
den eigenen und den, den die anderen ihm entgegenbrachten.
Nun war er tief
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