Macabros 114: Kaphoons Grab
Zuhause
sein, Marvin Cooner…«
Der Sprecher trat zur Seite und deutete kichernd eine leichte
Verbeugung an. »Nur hereinspaziert… ergreif Besitz von den
Dingen… fühl’ dich ganz wie Ronald Myers, mit dem du
tauschen wolltest. Alles gehört dir. Leg’ deine Kleidung
ab, zieh Myers’ Sachen an, richte dich häuslich hier
ein…«
»Und was geschieht, wenn er kommt?«
Der andere lachte rauh. »Du bist selten so phantasielos
gewesen wie jetzt, Cooner«, mußte er sich den Vorwurf
gefallen lassen. »Wenn Myers nach Hause kommt, ist der neue
Hausherr schon da. Dann wird er wohl die von dir abgelegten Kleider
tragen müssen.«
»Ich verstehe das nicht.«
»Dann zieh’ dich aus.«
Er tat es, warf seine Kleidungsstücke in die Ecke und
schlüpfte in Myers’ weichen, seidenen Hausmantel.
Der Duft eines herb-frischen Männer-Parfüms haftete dem
Stoff an.
Cooner schaltete sämtliche Lichter im Haus ein, stolzierte
wie ein Pfau durch die großen Räume und betrachtete sich
schließlich im Spiegel des Schlafzimmers, das einem
Fürsten alle Ehre gemacht hätte. Ein durchgehender Spiegel
an der Wand, einer an der Decke.
Cooner grinste.
»Lustmolch«, sagte er und meinte damit Myers.
Dann gefror ihm das Grinsen auf den Lippen.
»He!« stieß er entsetzt hervor, als er sich im
Spiegel erblickte.
Er sah nicht sein Spiegelbild, sondern stand – Ronald Myers
gegenüber!
*
Aus dem ersten Entsetzen wurde Triumph.
»Wunderbar!« stieß er heiser hervor. »Jetzt
begreife ich deinen Plan. Er ist genial…« Cooner sagte es,
und Myers im Spiegel bewegte die Lippen, vollzog jede Geste, die auch
er machte. »Das also ist es… Ich bin geblieben, denke und
fühle wie Marvin Cooner – und doch gibt es den Cooner, der
bisher existierte, nicht mehr.«
»Genau«, sagte die ehemalige Leiche. »Du hast deine
Kleider abgelegt und damit das Äußere von Marvin Cooner.
Du kannst Myers’ Leben führen. Und wenn er nach Hause
kommt, brauchst du ihn nur dazu zu bringen, daß er in deine
Klamotten schlüpft… und der Identitätstausch wird
perfekt sein…«
Der dem Grab Entstiegene lachte rauh, und Cooner fiel erst leise
und dann lauter werdend ein.
»Herrlich«, rief er, während er sich die
Tränen aus den Augen wischte. »Ich bin Myers – und
Myers wird Cooner… oh, ja, das ist wunderbar… aber wenn ich
wollte, dann könnte ich ihn auch…«
Er sprach nicht zu Ende, was er dachte, aber die Geste, die er mit
Daumen und Zeigefinger machte, besagte alles.
»Auch das könntest du. Dann wird es einen Myers, der wie
Cooner aussieht, eben nicht mehr geben. Marvin Cooner ist dann
tot…«
»Ich werde es mir überlegen«, flüsterte er
erregt, während sein Gesicht eine hektische rote Farbe annahm.
»Ob so… oder so… ich habe die Wahl…« Mit
diesen Worten ging er in das hundert Quadratmeter große
Wohnzimmer. An der Wand, dem riesigen Panoramafenster gegenüber,
stand ein großes Aquarium. Prächtige Goldfische schwammen
darin, große Exemplare. Cooner stellte sich davor und brachte
ohne eine Sekunde zu überlegen die Kuppen von Daumen und
Zeigefinger zusammen.
»Ich will’s wissen«, flüsterte er heiser.
»Ob geschieht, was ich will…«
Und es geschah!
Durch die Fischkörper ging ein kurzer, heftiger Ruck, als
hätte jemand ein elektrisches Kabel ins Aquarium gehalten.
Die Goldfische schwammen in der nächsten Sekunde mit den
hellen Bäuchen nach oben.
Sie waren tot…
*
Das Xantilon der Vergangenheit…
Rani Mahay und Danielle de Barteaulieé standen in dem Raum,
der hinter der durchlässigen Wand lag, und starrten auf die
Szene, die sich ihnen darbot wie ein Filmgeschehen auf der
Leinwand.
Die nackten, blutenden Gestalten gingen wie in Trance in den
riesigen, halbdunklen Raum, der ihnen wie ein geheimnisvoller Tempel
vorkam.
Überall in goldschimmernden Halterungen an den Wänden
hingen brennende Fackeln. Die Luft war erfüllt von einem langen
Summton, der leicht abgeändert immer wiederkehrte und einen
sphärenhaften Klang verursachte.
Überall im Zwielicht war Bewegung. Hunderte der Gestalten
liefen durcheinander, aber nicht wirr und ziellos. Dies alles ergab
einen Sinn.
Sie näherten sich einer Gestalt, die auf einem erhöhten
Podest stand und von Ankömmlingen umringt wurde.
Die bei ihm eintrafen, erwiesen ihm Ehrbezeigungen.
Mehrere flache Behälter standen auf kleinen Altären. In
den Schalen waren duftende Flüssigkeiten und weiche Tücher
wurden den Ankömmlingen gereicht.
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