Macabros 115: Skorokka - Strom ins Totenland
ganze Zeit über in
der Tasche versteckt hatte. »Ich zähl’ bis drei. Wenn
du dann immer noch wie einst Adam pudelnackt vor mir stehst, ist
meine Geduld zu Ende… eins… zwei…«
Myers begriff, daß mit dem anderen nicht zu spaßen
war.
Clarissa, dachte er. Verdammt noch mal… tu’ etwas, ruf
die Polizei an…
»Ron?!« fragte da eine Frauenstimme vor der
Schlafzimmertür. »Hallo, Ronny? Ist etwas?«
Der Mann im Hausmantel schien mit dem Teufel im Bund zu
stehen.
Wie ein Wiesel war er bei Myers, riß diesen herum und legte
ihm das Messer an die Kehle.
»Kein Laut!« zischte er. »Es war dann garantiert
dein letzter…«
Myers brach der kalte Schweiß aus.
»Nein, Darling. Alles in Ordnung. Ich bin gleich wieder
drüben. Gedulde dich noch einen Moment…« Der Mann im
Hausmantel rief es laut und deutlich, und da er die gleiche Stimme
wie Myers hatte, schöpfte die vor der Tür stehende
Australierin keinen Verdacht.
»Mir war, als hätte ich dich rufen
hören…«
»Nein, bestimmt nicht.«
Unter der Bedrohung ergab sich Ronald Myers in sein Schicksal. Er
fragte sich, was dies alles für einen Sinn ergab. Der andere,
der ihm wie aus dem Gesicht ähnlich sah, glaubte doch selbst
nicht, daß es genügte, wenn er die entsprechenden Kleider
anzog, daß er dann nicht mehr als der Transportunternehmer
Myers erkannt würde!
Bei diesem Gedankengang jedoch ging es plötzlich wie ein
elektrischer Schlag durch den Körper des echten Ronald Myers,
der glaubte, die Lösung für sein Problem gefunden zu haben,
ohne allzuviel zu riskieren.
Der andere war verrückt!
Er sah aus wie er, gab sich als Myers, trug seinen Hausmantel
– und wollte ihn, den echten Myers, in der Kleidung, mit der er
hier in dieses Haus gekommen war, hinauswerfen.
Das war seine Chance!
Er brauchte nur auf das Spiel des Verrückten einzugehen, von
einem Nachbarn oder einer Telefonzelle aus das nächste
Polizeirevier zu verständigen, und man würde den Irren
abholen.
Myers beeilte sich mit dem Anziehen. Er fand es widerlich, in die
fremden Kleider zu schlüpfen, doch wenn er damit seinen Kopf
rettete, sollte es ihm egal sein.
»Du hättest gleich so folgsam sein sollen, Myers. Dann
hätten wir uns Zeit und Umstände sparen können. Und
nun sieh in den Spiegel! Ich finde, du bist ein schickes
Kerlchen…«
Der Fremde im Hausmantel drückte langsam seine Schultern
herum.
Aus der Kehle des echten Myers kam ein unterdrücktes
Stöhnen.
»Nein«, sagte er, und seine Augen weiteten sich vor
Ratlosigkeit, Verwirrung und Entsetzen. Er sprach mit fremder Stimme
– und aus dem Spiegel starrte ihn ein fremdes Gesicht an. In ihm
bewegten sich die Lippen genauso, wie er sprach! »Das ist
doch… das bin nicht ich…«
»Doch, von nun an bist du das, Myers. Du bist von dieser
Minute an – Marvin Cooner. Der kleine Lastkraftwagenfahrer
Cooner, der keine Arbeit mehr bekommt, weil du ihn überall
schlechtgemacht hast. Du trägst Cooners Kleidung…meine
Kleidung. Und mit dem Anziehen dieser Kleidung hast du einen
Identitätswechsel vollzogen. So einfach ist das…«
*
Der falsche Ronald Myers versetzte dem Überraschten einen
Stoß vor die Brust und trieb ihn vor sich her.
»Und nun verschwinde!« schimpfte er laut. »Sonst
wird’ ich unangenehm! Lassen Sie sich hier nie mehr sehen,
Cooner… Diesmal seh’ ich noch mal davon ab, Sie der Polizei
zu melden. Das nächste Mal aber ist eine saftige Anzeige wegen
Einbruchs fällig, darauf können Sie sich verlassen…
raus hier, ehe ich ungemütlich werde!«
Er schubste den Veränderten durch die Tür.
Die Australierin, auf halbem Weg ins Wohnzimmer, wirbelte herum,
als der vermeintliche Fremde auf den Korridor gestoßen
wurde.
Sie gab einen Aufschrei von sich.
»Darling…«, stieß der Mann hervor, der vor
wenigen Minuten noch Ronald Myers gewesen war.
»Ich geb’ dir, von wegen ›Darling‹!«
brüllte der falsche Myers im Hausmantel. »Er hat uns
belauscht… dieser miese Kerl hat sich in meine Wohnung
eingeschlichen.«
»Also – habe ich vorhin doch richtig
gehört!«
»Ja, Darling, aber ich wollte dich nicht beunruhigen…
Hier, mit diesem Messer hat er mich bedroht…«
»Ronny!« stieß Clarissa entsetzt hervor und wurde
blaß unter ihrem Makeup.
»Er hat ’ne Menge getrunken. Das war mein Glück.
Diese Kerle wissen nicht mehr, was sie tun, wenn sie in Zorn
geraten.«
»Clarissa!« schrie da der Fremde mit dem zerwühlten
Haar und dem Anorak. »Glaub’ ihm kein Wort!
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