Macabros 115: Skorokka - Strom ins Totenland
draußen.
Sein Ziel war das Schlafzimmer. Im Nu hatte er Jackett, Hemd und
Hose ausgezogen und griff mechanisch nach dem Hausmantel, der
gewohnheitsgemäß an einem großen verzierten
Goldknopf neben der Tür hing.
Myers griff ins Leere.
Zwischen seinen Augenbrauen entstand eine steile Falte.
Der Hausmantel war nicht da? Er liebte Ordnung und ließ
seine Sachen nicht einfach irgendwo im Haus herumliegen… Es sei
denn, daß er in der Eile heute abend, im Bad…
Er lief an den beiden flachen Betten vorbei, die in einen
mächtigen Wandschrank gebaut waren, der sie auch links und
rechts noch flankierte.
Vom Schlafzimmer aus führte ein Durchlaß direkt in das
große, luxuriös eingerichtete Bad.
Und dann entschied sich Myers Schicksal…
Er sah sich seinem anderen Ich gegenüber! Wie in einem
Spiegel!
Im ersten Moment dachte er auch, es handele sich um sein
Spiegelbild.
Der ihm da gegenüberstand, das war doch er wie er
leibte und lebte! Aber dieses andere Ich trug den Hausmantel, den er
gesucht hatte!
»Was soll das… wer sind Sie… ich…«,
stotterte er, und es fehlten ihm die Worte, um das auszudrücken,
was er in diesen Sekunden empfand.
Sein Gegenüber lachte leise. »Ich bin Ronald Myers…
Das ist doch ganz deutlich zu sehen…« Der Sprecher, der
beide Hände tief in den Taschen des weichen Hausmantels stecken
hatte, schlenderte gemächlich, beinahe gelangweilt näher.
Aber der äußere Eindruck täuschte. Der Mann im
Hausmantel war einzige, gespannte Aufmerksamkeit.
Der echte Myers schluckte trocken, und er war weiß wie ein
Leintuch. »Unsinn… ich bin Ronald Myers… Sie haben
sich meinen Hausmantel angezogen und spielen Myers. Verschwinden Sie
hier – oder ich rufe die Polizei!«
»Richtig!« nickte der andere. »Genau das letztere
sollen Sie tun, Myers. Man wird Sie packen und wegschleppen.
Schließlich halten Sie sich in meinem Haus auf…«
»Das ist eine Frechheit!« Ronald Myers, der nur in
Unterhosen und Unterhemd vor dem Mann stand, der ebenfalls
behauptete, Ronald Myers zu sein, konnte sich nicht mehr unter
Kontrolle halten.
Er warf sich nach vorn. Der reichlich genossene Champagner
beflügelte ihn und unterdrückte jegliche. Scheu, ließ
ihn aber auch das Risiko nicht erkennen, das er einging.
Der Mann im Hausmantel streckte nur seine Rechte aus. Myers rannte
voll hinein und hatte das Gefühl, gegen einen Rammbock zu
prallen.
Sein Gegner hielt ihn fest. Die Faust des anderen traf ihn, ehe
Myers begriff, was geschah.
Der Transportunternehmer, körperlich kein Schwächling,
war dem anderen an Körperkraft jedoch weit unterlegen.
Ronald Myers flog zurück, kam mit den Kniekehlen gegen die
Badewanne und rutschte nach hinten weg.
Benommen blieb er darin liegen.
Der Eindringling im Hausmantel griff nach der Brause. »Ich
könnte jetzt die Wanne vollaufen lassen«, sagte er mit
bösem Grinsen. »Aber das würde die ganze Prozedur nur
in die Länge ziehen. Die Puppe, Myers, die du mitgeschleppt
hast, werde ich an deiner Stelle heute nacht vernaschen… Und sie
wird nicht mal wissen, daß es nicht der Mann ist, der sie heute
abend hierher gebracht hat! Ich werde einfach Ihre Stelle
übernehmen, Myers. Jetzt bin ich am Zug. Ich mußte lange
darauf warten, doch dafür wird das Ganze auch sehr
gründlich durchgeführt…«
»Nehmen Sie die Maske ab«, keuchte Myers. »Ich will
sehen, wer Sie wirklich sind.«
»In ein paar Minuten, kannst du das… Du brauchst dich
dann nur noch im Spiegel betrachten, und es wird dir wie Schuppen von
den Augen fallen.«
Der Sprecher bückte sich und warf dem in der Wanne Hockenden
ein Bündel nach Schweiß riechender Kleider zu.
Ronald Myers rümpfte die Nase.
»Zieh’ dich aus«, sagte der im Hausmantel.
»Aber…«
»Kein ›Aber‹, runter mit der Hose, weg mit dem
Unterhemd. Und dann ziehst du die Klamotten an, die ich dir
zugeworfen habe.«
»Ich verstehe nicht.«
»Du wirst auf einmal sehr schnell verstehen. Los, ich habe
keine Zeit! Ich möchte die Puppe draußen nicht
abkühlen lassen.«
»Ich weigere mich.«
Weiter kam er nicht. Er wurde von harter Hand gepackt und in die
Höhe gerissen. Ronald Myers hatte keine Chance, dieser Kraft
etwas entgegenzusetzen. Er wußte nicht, wie es geschah. Mit
zwei, drei schnellen Griffen wurden ihm das Unterhemd und die Shorts
vom Körper gerissen.
»Rein in die Klamotten! Oder ich helf nach…«
Wie durch Zauberei hielt der Mann im Hausmantel plötzlich ein
großes Messer in der Hand, das er die
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