Mach mich gierig!
versuchte, die dünne, salzige Kruste mit dem Daumen wegzureiben, aber es war, als hätten sich seine Tränen in die Haut geätzt. Es tut mir so leid ... Ihr Magen verkrampfte sich. Wie lange würde sie diesen Job noch machen können? Niemals zuvor war er ihr so schwergefallen wie heute.
Ihr Blick wanderte von Lukes Gesicht über den bartschattigen Hals mit dem ausgeprägten Kehlkopf weiter nach unten und blieb an der leicht behaarten Brust sowie dem flachen Bauch hängen. Hier fielen Amber die kreisförmigen Abdrücke der Elektroschock-Pads auf, die sich in Lukes Haut gebrannt hatten. Allerdings verblassten sie bereits, denn die meisten Mutanten besaßen außergewöhnliche Regenerationskräfte.
Amber konnte nicht umhin, ihren Blick noch tiefer zu richten, auf Lukes muskulöse, aber athletische Oberschenkel und das nackte Stück Fleisch dazwischen, das wie eine dicke Schlange in einem Nest aus krausen Haaren lag.
Seufzend schloss Amber kurz die Augen und schüttelte den Kopf. Wenn Luke Corbett ein ganz normaler Mann gewesen wäre ...
Sie nahm Lukes schlaffe Hand, berührte die leicht rauen Handflächen und betrachtete die Härchen, die auf dem Handrücken wuchsen. Luke besaß elegante Finger, wie die eines Pianisten, überlegte sie, während sie den Puls am Gelenk ertastete. Schwach, aber gleichmäßig, pochte er gegen ihre Finger. Amber unterdrückte das taube Gefühl in ihrem Herzen. Es war das erste Mal, dass sie einen Patienten persönlich kannte. Nein, sie kannte diesen Mann nicht nur, sie beide hatten sogar ein sehr kurzes Verhältnis miteinander gehabt, bis Luke sie gefragt hatte, was sie beruflich machte. Als Amber ihm offenbarte, sie wäre Ärztin, hatte sie gespürt, wie er sich von ihr zurückgezogen und sich nie wieder bei ihr gemeldet hatte. Das war nun drei Wochen her. Jetzt wusste sie auch, warum er den Kontakt abgebrochen hatte. In den letzten Jahren mussten sich alle Menschen regelmäßigen Gesundheits-Checks unterziehen. Mutanten konnten dadurch sofort aufgespürt werden. Sie besaßen weniger Rechte, durften viele Berufe nicht ausüben, nicht wählen und sollten wenn möglich auch keine Kinder in die Welt setzen ... Diese besonderen Menschen hatten natürlich eine Aversion gegen Ärzte und Politiker entwickelt, wer konnte es ihnen verdenken.
Vorsichtig strich Amber dem Bewusstlosen das dunkelbraune Haar aus der Stirn. Luke war ein schöner Mann mit gleichmäßigen Gesichtszügen und wundervoll geschwungenen Lippen. Amber erinnerte sich noch gut an die sanften, fast zögerlichen Berührungen seines Mundes, als hätte er nicht viel Erfahrung mit dem Küssen gehabt. Am liebsten hätte sie sich jetzt zu ihm hinabgebeugt, um ihre Lippen auf die seinen zu legen und zu testen, ob er immer noch dasselbe Aftershave benutzte, das so gut roch.
Amber sah nun auch wieder seine smaragdgrünen Augen vor sich. Diese leuchtenden Iriskreise waren es gewesen, die sie vom ersten Blickkontakt in ihren Bann gezogen hatten. Luke hatte im Great-Smoky-Mountains-Nationalpark in einem Café im Besucherzentrum gearbeitet. Dort machte Amber auf ihrem Weg zum geheimen Forschungskomplex des Öfteren halt. Als Luke ihr einen Tee an den Tisch gebracht hatte, waren sie ins Gespräch gekommen ...
»Brauchen Sie noch etwas, Dr. Simmons?«, ertönte plötzlich die barsche Stimme ihres Kollegen hinter Amber.
Unauffällig zog sie die Hand zurück. »Nein, Dr. Suresh, vielen Dank.«
»Und wie stehen die Chancen?«
»Nicht gut«, log sie. »Er ist sehr geschwächt. Das Aufbaupräparat und das Epinephrin zeigen bei ihm keine Wirkung mehr.« Sie drehte sich um und sah dem Inder tief in die dunkelbraunen Augen. Er wird sterben. Patient 3795XY ist uns nicht mehr von Nutzen. Sie können mich nun allein lassen, schickte sie ihm ihre Gedanken und manipulierte das Unterbewusstsein, ohne dass der Arzt davon etwas mitbekam. Dann griff sie nach einer Spritze.
Dr. Suresh nickte systematisch und verließ das kleine Zimmer. Aufatmend drehte sich Amber wieder zu Luke um und setzte die Nadel an seiner Armbeuge an. Sie musste ihm dieses Mittel injizieren ...
***
Eine Stunde später schob Amber die rollbare Liege durch die kahlen Korridore des Hochsicherheitstraktes. Lukes Körper war vollständig bedeckt mit einem weißen Tuch, nur sein großer Zeh schaute unter dem Laken hervor. An ihm hing der Zettel, auf dem seine Patientennummer stand und was mit ihm zu geschehen hatte.
Ambers Ziel war das Krematorium noch tiefer im Berg, wo die Leichen
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