Mach sie fertig
leid. Ich kenne ihn nicht. Aber fragen Sie mal den dort hinten, Sami Kiviniemi. Er hängt an jedem Wettkampfwochenende hier herum, so lang ich mich erinnern kann. Er kennt alle.«
Thomas war genervt. Was war das hier für ein dämliches Spielchen? Wie viele Leute sollte er heute noch fragen? Entweder kannten sie diesen Ballétypen, oder er war nicht hier. Punkt, aus. Trotz allem ging er zu Kiviniemi rüber.
In Thomas’ Augen: Der Typ verkörperte die Karikatur eines Scheißfinnen schlechthin. Weißblonder Ziegenbart, verspiegelte Sonnenbrille, schiefes Lächeln mit einem fehlenden Schneidezahn, auf dem Kopf ’ne Kappe mit dem Mercedes-Benz-Logo, eine Solvallatüte in der Hand. Er trug einen Fleecepulli, obwohl es August war.
Sami quatschte mit ’nem anderen Typen übers Traben.
Thomas hatte keine Lust, einen auf höflich zu spielen. Tippte dem Finnen auf die Schulter. Hielt seinen Polizeiausweis in der einen und das Foto von John Ballénius in der anderen Hand. »Wissen Sie, wer diese Person hier ist?«
Samis Augen flackerten. Möglicherweise war es Erstaunen, vielleicht auch Unruhe.
Er nahm die Kopie des Passfotos in die Hand. »Ja klar, das ist Johnny.«
Thomas zuckte zusammen.
»Aber ihn wirst du hier im Bistro bestimmt nicht finden. Wenn er heute hier ist, was der Fall sein dürfte, ist er in der Luxusetage, oben im Kongress. ’n ziemlich ausgefuchster Typ, aalglatt. Was hat er denn ausgefressen?«
Thomas: bereits halb auf der Rolltreppe. Auf dem Weg ins oberste Stockwerk. Sein Puls hämmerte wie nach einer Trainingseinheit.
Er kam oben an. Verschaffte sich einen Überblick über Bar und Restaurant: À-la-carte-Restaurant, in dem die Tische der Tribüne direkt auf Höhe der Ziellinie standen. Weiß eingedeckt, Auslegeware auf dem Boden, gedämpfte Musik im Hintergrund, Flachbildschirme und Wettscheine. Die Mehrheit: gesetztere Herren im Alter von fünfzig, sechzig Jahren. Erwartungsvolle Stimmung im Lokal. Das erste Rennen des Tages würde in zwei Minuten starten.
Der Kassierer verwies ihn an den Kellner. Der seine Reservierungsliste durchsah. Ja genau, John Ballénius hatte heute seinen Glückstisch gebucht. Nummer hundertachtzehn.
Thomas bahnte sich einen Weg zwischen den Tischen hindurch. Er besah sich das Restaurant aus dem Augenwinkel: Leute mit eigenen Laptops, die auf die Aussicht zu pfeifen schienen, Frauen um die vierzig mit heiserem Lachen, Stifte und Wettscheine, noch mehr Reklame für Agria Tierversicherungen. Auf einigen Tischen: Champagnerkübel. Manche schienen schon zu wissen, dass sie etwas zu feiern haben würden.
Tisch hundertachtzehn: noch fünf Meter entfernt. Er sah ihn, erkannte ihn von den Passfotos wieder, er musste es sein – Ballénius. Er saß mit drei anderen Leuten am Tisch: zwei Frauen und einem glatzköpfigen Mann. Ballénius wirkte verhältnismäßig groß und ziemlich schlank. Den Registerauszügen der Unternehmen zufolge musste er sechsundfünfzig Jahre alt sein. Vorzeitig gealtertes Gesicht, tiefe Furchen auf der Stirn, die Lachfalten breiteten sich wie Risse über seine Wangen aus. Doch es existierte kein Lächeln in seinem Gesicht. Thomas hatte kaum jemals einen Menschen mit einem so ergrauten, ausgemergelten, vergrämten Antlitz gesehen.
Auf dem Tisch standen Teller mit warmen Gerichten, Weingläser, eine halbvolle Weinflasche, zwei Flaschen Bier, daneben lagen Wettscheine, Broschüren und Mappen, Taschenrechner, Stifte, Handys. Die Frauen sahen zurechtgemacht aus, stilvoller, als er es bei Ballénius erwartet hätte. Was den Eindruck trübte: Eine von ihnen hatte anstelle von einer Handtasche eine Plastiktüte der Billigkette Willys neben sich stehen.
Thomas trat an den Tisch. Ließ seinen Dienstausweis aufblitzen.
Nahm deutlich John Ballénius’ panikartigen Blick wahr.
»Hej John. Könnte ich Ihnen bitte ein paar Fragen stellen?«
Ballénius’ Blick ohne Fokus. Er sah irgendwo anders hin. Dann nickte er.
Die Frauen guckten sich fragend an. Eine von ihnen erkundigte sich, ob Thomas nicht bis nach dem Lauf warten könnte. Den Glatzköpfigen schien es nicht zu stören. Ballénius stand auf. Verließ vor Thomas den Tisch.
Sie gingen zwischen den anderen Tischen hindurch nach oben. Hinaus in Richtung Wettschalter. Dort oben war es inzwischen völlig leer. Das Rennen würde in dreißig Sekunden beginnen.
»Was wollen Sie von mir?«, fragte Ballénius, ohne Thomas anzusehen.
»Wie gut, dass ich Sie gefunden habe. Es geht um etwas ziemlich Ernstes.
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