Mach sie fertig
sich zu kapieren, dass er vorhatte, von jetzt an rechtschaffen zu sein, oder es zumindest wirklich meinte, wenn er es ihr gegenüber sagte. Lag ihm noch schlimmer in den Ohren als seine Klassensprecher in der Schule, als er dreizehn war – die Blödmänner waren der Ansicht, dass ausgerechnet Mahmud der Raufbold Nummer eins war.
Bitch.
Die U-Bahn ratterte über die Gleise. Mahmud nahezu allein im Wagen. Versuchte das Muster auf den Sitzen gegenüber zu deuten. Was sollten diese Motive bedeuten? Okay, die kleine Kugel erkannte er wieder. Globen. Und der Turm mit den drei Nippeln drauf – das Rathaus, Stadshuset, oder wie es hieß. Aber das andere Gekrakel. Wer konnte nur so hässlich zeichnen? Und wen versuchte Connex damit zu beeindrucken? Die U-Bahn war nicht gemütlich und würde es auch nie werden.
Dennoch ein irres Gefühl, im Wagen zu chillen. Frei zu sein. Ein- und auszusteigen, wo er wollte. Ungehindert mit den beiden Bräuten weiter hinten zu flirten. Das Leben im Knast war wie das Leben draußen, allerdings im Schnelldurchlauf. Die Zeit verging schneller, er erlebte alles irgendwie intensiver, so dass es ihm vorkam, als hätte er die letzte Runde überhaupt nicht gedreht. Das Einzige, was ihn störte: die Albträume in den beiden vergangenen Nächten. Der Tisch mit dem Russischen Roulette, das sich drehte. Die Pisseflecken, die sich entlang seines Beins ausbreiteten. Gürhans Goldzähne, die aufblitzten. Er musste versuchen zu vergessen. Born-to-be-hated.
Der Zug rollte in die Station ein. Er stieg aus. Hatte Lust auf was Süßes. Ging auf den Selecta-Automaten zu. Schon aus zehn Metern Entfernung sah er, dass er geknackt worden war. Was für Amateure. Wenn sie schon vorhatten, was zu klauen, konnten sie doch wohl was Größeres anpeilen. Was nützten einem ’n paar Fünfkronenstücke aus ’nem Süßigkeitenautomaten? Konnten nur Fixer gewesen sein. Traurige Loser. Warum kümmerte Erika sich nicht um sie statt um ihn? Mahmud störte ja keinen, solange keiner ihn störte. Man musste Prioritäten setzen.
Er ging in Richtung Rolltreppe. Die weißgetünchten Ziegelsteinfassaden erinnerten ihn an Asptuna. Anderthalb Monate, seit er wieder draußen war – ein halbes Jahr hinter Schloss und Riegel. Und jetzt war er gezwungen, einmal in der Woche nach diesem verdammten Hornstull zu fahren und sich erniedrigen zu lassen. Dort zu sitzen und sich was aus den Fingern zu saugen – sich wieder vorzukommen wie in der Mittelstufe. Es funktionierte nicht. Manche Typen verbarrikadierten sich in kleinen Einzimmerwohnungen, die das Sozialamt für sie organisierte, wenn sie rauskamen. Ertrugen zu große Wohnungen nicht, wollten es am liebsten genauso haben wie in der Anstalt. Andere zogen nach Hause zu ihren Müttern. Kamen mit dem richtigen Leben draußen nicht zurecht ohne jemanden, der für sie kochte und saubermachte. Doch Mahmud – er würde das hier packen. Eigene Wohnung, Reisen, unterwegs sein. Ohne Ende ficken, dicke Kohle verdienen. PROTZEN . Mitten in seinem Gedankengang: Gürhans Visage machte seine Träume zunichte wie ein Schlag ins Gesicht.
Er überquerte die Långholmsgata. Im Hintergrund: Der Verkehr dröhnte. Der Himmel war grau. Die Straße war grau. Die Häuser noch grauer.
Die Bewährungshilfe teilte sich einen Eingang mit einer staatlichen Zahnarztpraxis und der Sozialversicherung. Er dachte: Durften sich etwa nur abgefuckte staatliche Einrichtungen in diesem bescheuerten Gebäude befinden? Eine Reinigungskraft war dabei, den Kunststoffboden zu bohnern. Hätte sein Vater sein können, Beshar. Aber sein Abu würde es bald nicht mehr nötig haben, so zu leben. Dafür würde er sorgen. Promise.
An der Rezeption öffneten sie nicht mal die Glasluke für ihn. Stattdessen musste er sich zum Mikrophon vorbeugen.
»Hej, hej. Ich war mit Erika Ewaldsson verabredet. Vor zehn Minuten.«
»Aha, wenn Sie Platz nehmen, wird sie gleich zu Ihnen kommen.«
Er setzte sich ins Wartezimmer. Warum ließen sie ihn jedes Mal warten? Sie benahmen sich wie die Schließer im Knast. Machtgeile Erniedrigungsexperten: Homos.
Er betrachtete die öden Zeitschriften: Dagens Nyheter, Café und Schöner Wohnen. Musste grinsen: Welcher Idiot kam denn zur Bewährungshilfe und las Schöner Wohnen?
Dann hörte er Erikas Stimme.
»Hej Mahmud. Gut, dass Sie jetzt hier sind. Sogar beinahe pünktlich.«
Mahmud schaute auf. Erika sah aus wie immer. Gelbe Hosen und ein bräunliches ponchoartiges Gewand am Oberkörper.
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