Mach sie fertig
GPS eingegeben. Thomas konnte sich nicht vorstellen, dass sie beide an dieselben Dinge dachten, dort in ihren jeweiligen Fahrzeugen.
Er hatte Åsa noch mal angerufen und ihr gesagt, dass er die ganze Nacht lang arbeiten müsste. Dieses Mal war sie trauriger, fing an zu weinen, fragte, wie es dann funktionieren sollte, wenn Sander käme. Ob Thomas seine Elternschaft überhaupt ernst nähme. Ob er verstünde, was es bedeutete, eine Familie zu haben. Was ihm im Leben eigentlich wichtig wäre. Er hatte keine Antwort parat. Er konnte ihr im Moment auf keinen Fall irgendwelche Informationen geben.
Wer war er eigentlich? Polizeimentalität verbunden mit Selbstrechtfertigung steckten tief in ihm. Zugleich hatte er sich in den vergangenen Monaten verändert. Hatte die Menschen, die er normalerweise festnahm, näher kennengelernt. Eine Art freundschaftliche Verbundenheit empfunden. Auf der Schattenseite des Lebens führten sie ebenfalls ihr Leben, sie besaßen Moral. Es waren Leute, zu denen man Nähe aufbauen konnte. Sie trafen Entscheidungen, die ausgehend von ihrer Situation die einzig richtigen waren. Thomas hatte eine Grenze überschritten. Der Schritt, den er getan hatte – eine polizeiliche Todsünde. Aber dort, im Reich der Toten, unter denen, die er sonst als Pack und Abschaum bezeichnete, hatte er Menschen gefunden, die wie Freunde für ihn waren. Und wenn sie seine Freunde sein konnten und ihre Wahl die richtige war – wer war er dann als Polizist?
Er versuchte die Gedanken wegzuschieben. Entschied im Stillen: Heute Abend war es etwas anderes.
Vierzig Minuten später hielt Hägerströms Wagen auf einem dunklen Waldweg draußen auf Smådalarö. Thomas hielt hinter ihm. Blieb sitzen und rief Hägerström an. Sie entschieden, dass Hägerström seinen Wagen am Waldweg parken sollte. Thomas würde versuchen reinzukommen. Sie setzten alles auf diese eine Karte.
Er fuhr langsam weiter den Weg entlang, bis er die Abzweigung sah. Es war Vollmond. Ein Tor aus schwarzem Metall. Zehn Meter vor dem Tor hielt er an. Neben dem Tor war eine Kamera befestigt, darüber ein großes Schild: Privates Gelände. Bewacht durch G 4 S.
Eine Viertelstunde später näherte sich ein Auto. Allerdings nicht irgendeins: eine Limousine. Bizarr: eine Stretchlimousine à la Las Vegas auf einem verschneiten Waldweg im Schärengarten. Der Wagen bog in Richtung Tor ab. Thomas konnte nicht genau erkennen, was passierte. Nach dreißig Sekunden glitten die Torflügel auf. Die Limousine rollte hinein.
Thomas dachte an den Mann vor dem Fenster ihres Hauses und den Typen, der ihn in der Polizeigarage niedergeschlagen hatte. Vielleicht war es ein und dieselbe Person. Er dachte an Cederholm, alias Rantzell, Ballénius und Ballénius’ Tochter. An die Polizisten, die er zu seinen Freunden zählte: Ljunggren und Hannu Lindberg. Er sah vor seinem inneren Auge: Adamsson, den Rechtsmediziner Bengt Gantz, Jonas Nilsson. Es war ein langer Weg gewesen bis hin zu dem Augenblick, der ihm jetzt bevorstand. Und dennoch schien es ihm fast so, als wäre das Ganze von Anfang an vorherbestimmt gewesen.
Er legte den ersten Gang ein. Fuhr langsam auf das Tor zu. Die Abgase seines Wagens bildeten hinter ihm eine Qualmwolke wie aus einem kleineren Wärmekraftwerk. Er hielt an. Ließ die Scheibe heruntergleiten. Blickte in Richtung Überwachungskamera. Eine Stimme aus einem Lautsprecher: »Guten Abend. Wie können wir Ihnen helfen?«
»Ich heiße Thomas Andrén, lassen Sie mich bitte rein.«
Ein schwaches Surren am anderen Ende.
»Richten Sie Ratko, Bogdan oder wer auch immer da drinnen ist aus, dass ich heute Abend Dienst hab.«
Knackende Geräusche im Mikrophon, dann meldete sich eine andere Stimme: »Hallo Thomas. Ich wusste gar nicht, dass du heute arbeiten würdest. Mich hat keiner informiert.« Es klang nach Bogdan, ein Typ, der manchmal im Club aushalf.
Die Torflügel öffneten sich.
Er fuhr rein.
Die Außenbeleuchtung war zwischen den Büschen entlang der Auffahrt installiert und erleuchtete den Schnee auf den Zweigen der Bäume. Hundert Meter vielleicht, dahinter öffnete sich der Wald. Eine riesige dreigeschossige Villa mit großen Fenstern und Säulen vor dem Eingang. Bestimmt zwanzig Autos davor geparkt. Die Limousine war dabei zu wenden. Aus einigen Räumen drang Licht. Eine schwache Geräuschkulisse war zu hören. Thomas parkte neben einem schwarzen Audi Q 7 . Ging auf die Villa zu. Dachte: Auf was für eine verrückte Sache hab ich mich hier
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