Machen Sie das Beste aus Ihrem Kopf
funktioniert folgendermaßen: Trifft das Aktionspotenzial am Ende des Axons auf den Spalt zwischen beiden Zellen, werden die elektrischen Signale in chemische Stoffe umgewandelt, sogenannte Botenstoffe. Diese Botenstoffe, auch Neurotransmitter genannt, werden in den Spalt ausgeschüttet. An der Schnittstelle zwischen beiden Zellen sitzen winzig kleine Bläschen, die die Botenstoffe enthalten und abgeben. Einmal freigesetzt, durchqueren diese Stoffe problemlos die wässrige, salzige Flüssigkeit, die die Neuronen umgibt, und überwinden den synaptischen Spalt ähnlich der Fähre in unserem Flussbeispiel. Am anderen Ende des Spaltes angekommen, benötigt der Botenstoff so etwas wie den Anlegesteg für die Fähre, um mit dem Zielneuron in Kontakt treten zu können. Diese Aufgabe übernehmen die sogenannten Rezeptoren am Ende der Dendriten. Hierbei handelt es sich um Proteinmoleküle, die speziell auf bestimmte Neurotransmitter eingestellt sind, sodass beide Teile zusammenpassen wie Schlüssel und Schloss. Stimmen die Codierungen von Rezeptor und Botenstoff überein, kommt es zur Informationsübertragung. Das alles passiert Tausende Male in Millisekunden, immer wenn wir denken oder handeln, zum Beispiel auch jetzt gerade, wenn Sie diese Zeilen lesen. 5
Die Art und Weise, wie wir unser Gehirn nutzen, bestimmt, wie es beschaffen ist. Sind wir geistig aktiv, so verändert sich dadurch die Architektur und Struktur unseres Gehirns. Das passiert zum Beispiel immer dann, wenn wir etwas Neues erfahren, denken oder lernen. Die Anzahlder Verzweigungen und der neuronalen Verbindungen vergrößert sich. Das neuronale Netz wird dichter. Je dichter das Netz, desto leichter können wir neues Wissen an bereits vorhandenes Wissen anknüpfen, desto leichter fällt uns flexibles, schnelles und effizientes Denken. Jede noch so kleine Änderung oder Neuerung in unserem Leben und in unserer Umwelt trägt dazu bei – auch das Lesen dieses Buches.
Das funktioniert leider auch in gegenläufiger Richtung. Bleiben Erfahrungen und Lernprozesse im Leben eines Menschen aus, weil er sein Leben monoton und passiv gestaltet, so verkümmern die nicht mehr häufig gebrauchten Synapsen. Das neuronale Netz wird dünner. Die geistige Leistungskraft lässt nach.
Die neuronalen Verbindungen können sich ein Leben lang ändern. Das Gehirn eines Menschen ist niemals fertig ausgebildet. Es ist also nie zu spät, etwas für seinen Geist zu tun. Intellektuelle Anregung in Verbindung mit einer abwechslungsreichen Umgebung und Lebensweise trägt bis ins hohe Alter entscheidend zu mentaler Gesundheit und Leistungskraft bei. 6
Ein Beispiel soll die nutzungsabhängigen Prozesse in unserem Kopf anschaulich machen: Stellen Sie sich vor, Sie spazieren durch den Wald und nehmen eine Abkürzung durch ein Stück unwegsamen Geländes. Nach Ihnen entdecken weitere Spaziergänger den nun etwas flach getretenen Pfad und benutzen ihn ebenfalls. Mit der Zeit entsteht ein Pfad, der immer breiter und fester wird. Irgendwann entschließt sich die Forstverwaltung, hier einen regulären Weg anzulegen. Wird dieser Weg aber nicht mehr regelmäßig benutzt und gepflegt, so wird er mit der Zeit wieder mit Pflanzen zuwachsen und nach und nach ganz verschwinden.
Nehmen Sie als weiteres Beispiel das Wachstum unseres Autobahnnetzes. In den Anfängen waren es wenige ausgebauteStrecken, mit der Zeit wurden stark frequentierte Strecken ausgebaut. Es entstanden Streckenabschnitte mit mehreren Fahrspuren. Verzweigungen in viele verschiedene Richtungen wurden gebaut. Große und komplexe Autobahnverteiler entstanden. Es wurde immer einfacher, von einer Verbindung auf eine andere zu wechseln. Auch weit entfernte Ziele können problemlos und schnell erreicht werden (vorausgesetzt natürlich, wir stehen nicht im Stau!). Aus den anfänglich nur wenigen Wegstrecken ist ein verzweigtes Netz von Verbindungen geworden. Stetige, intensive und starke Streckennutzung hat das bewirkt.
Die durch intensive Nutzung wachsende Komplexität und Dichte von neuronalen Netzwerken lässt sich mit modernen Verfahren zur bildlichen Darstellung des Gehirns sichtbar machen. Damit kann man dem Gehirn bei der Arbeit zusehen und beispielsweise erkennen, bei welchen Aufgaben und in welchem Umfang bestimmte Areale aktiv sind. So konnte zum Beispiel bei Taxifahrern in London festgestellt werden, dass die Region des Gehirns, die für räumliche Orientierung zuständig ist, umso größer ist, je länger sie dieser Tätigkeit
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