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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
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trotzdem. In solchen Fällen musste Fortuna, der einzig zugelassene Störfaktor der historischen Gesetzbildung, im Spiel sein. Der französische König hingegen hatte die beste Gelegenheit, ein für alle Mal in Italien aufzuräumen, und ließ sie verstreichen. Dagegen war auch der Meisterdenker Machiavelli machtlos. Dieser stellte sich damit einen Freispruch erster Klasse aus: Alle meine Analysen waren zutreffend, Ludwig XII. hätte siegen müssen, wenn nicht eine Häufung unvorhersehbarer Zufälle dazwischengekommen wäre.
    Gegen Machiavellis Rom-Gläubigkeit, doch auch gegen dessen Selbstgerechtigkeit, legte Vettori mit der ihm eigenen hintergründigen Ironie Einspruch ein:
Ihr mit Eurer Klugheit, Eurem Geist und Eurer Erfahrung werdet besser wissen, was ich sagen wollte und selbst schreiben konnte.[ 73 ]
    Darüber hinaus stellte Vettori dem Freund Denkaufgaben, die diesem die Gelegenheit verschaffen sollten, sich im besten Lichte zu präsentieren:
Und ich möchte, dass Ihr mir dazu etwas schreibt und dabei daran denkt, dass der Papst Euren Text zu sehen bekommt. Und glaubt bitte nicht, dass ich mir damit Ehre verschaffen möchte. Es ist genau umgekehrt: Ich verspreche Euch, Eure Schreiben unter Eurem Namen weiterzugeben, wenn ich es für angebracht halte. Ich habe niemals Gefallen daran gefunden, anderen Ehre und Besitz zu stehlen, am allerwenigsten Euch, da ich Euch wie mich selbst liebe.[ 74 ]
    Das Schreiben über Politik sollte Machiavelli als Ersatz für die praktische Politik dienen – und als Therapie gegen die Melancholie, die sich hinter seinem Galgenhumor verbarg:
Ich werde also hier mit meinen Flöhen verweilen, ohne einen einzigen Menschen zu finden, dem meine Knechtschaft überhaupt bewusst ist oder der glaubt, dass ich überhaupt zu etwas gut bin. Doch lange kann ich so nicht bleiben, sonst zermürbt es mich. Daher werde ich, wenn sich Gott mir nicht günstiger zeigt, mein Haus verlassen und mich als Nachhilfelehrer oder Kanzler eines Korporals verdingen müssen, wenn es nicht anders geht. Oder ich lasse mich in einer gottverlassenen Gegend nieder und lehre dort die Kinder lesen – unter Zurücklassung meiner Familie, die mich für tot halten soll. Der geht es ohne mich ohnehin viel besser, denn ich koste sie Geld. Ich bin daran gewöhnt, mein Geld auszugeben und kann nicht leben, ohne Geld auszugeben.[ 75 ]
    Machiavelli als Dorfschullehrer: Diese Vorstellung sollte zum Lachen reizen, doch wirkte die Komik angestrengt. Dahinter verbarg sich Verzweiflung, wie Vettori gespürt haben dürfte.

IV. DIE KUNST DES SCHREIBENS 1513–1520

    Amouröse Eroberungen und sonstige Phantasien
    Das Elend des Alltags war für Machiavelli nicht nur der Geldmangel und die Isolation, sondern auch die politische Lage in Florenz und Rom. In dieser Hinsicht nahm auch Vettori kein Blatt vor den Mund. Er war überzeugt davon, dass die Medici ihre bislang indirekte Herrschaft über Florenz in fürstlichen Formen verfestigen wollten. Zu diesem Zweck versuchten sie die Florentiner einzulullen und der aktiven Politik zu entwöhnen. Parallel dazu plante Leo X., so argwöhnte Vettori, große Unternehmungen zugunsten seiner Familie:
Dass er seinen Verwandten Staaten verschaffen möchte, zeigt er deutlich, denn so haben es auch die vorangehenden Päpste Calixtus, Pius, Sixtus, Innozenz, Alexander und Julius gehalten; und wer es nicht getan hat, der hatte keine Gelegenheit dazu.[ 1 ]
    Die Kirche hatte zwei abgrundtief schlechte Päpste wie Alexander VI. und Julius II. ertragen, so werde sie wohl auch noch den gegenwärtigen Papst überstehen. Italien war am Tiefpunkt seiner Geschichte angekommen, darin waren sich Vettori und Machiavelli einig. Die florentinische Politik verdarb ihnen die Laune und war für sie nicht ungefährlich, daher boten sich ihnen die Planspiele mit den Großmächten als Ausweichmanöver an. Damit konnte man sich aus der grauen Realität in eine prickelndere Welt fortträumen. Wie intensiv Machiavelli, der kaltgestellte Diplomat, auf dieses Surrogat angewiesen war, zeigt sein Brief vom 20. Juni 1513. Darin phantasierte er sich nach dem Muster: «Wenn ich Papst wäre …» aus der eigenen Ohnmacht in die Position eines global players hinein und entwarf entsprechende Strategien. Doch der Rausch der eingebildeten Macht verflog schnell. Was ließ sich sonst noch gegen die lähmende Langeweile und das Gefühl, überflüssig zu sein, tun?
    Wer nicht mit militärischen oder politischen Mitteln erobern kann, der

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