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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
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Dilemma: Wenn er Michele Geld gibt, kann dieser ihn nach Belieben erpressen, weil er mit der Zahlung die Tat zugibt. Wenn er ihm aber das Geld verweigert, steht Aussage gegen Aussage. Die sensationslüsternen Florentiner werden dann nicht Casavecchia, sondern Michele glauben. Wenn er jemand anderen beschuldigt, ohne schlüssige Beweise liefern zu können, macht er sich nur Feinde, ohne sich endgültig reinzuwaschen. In solchen Fällen hilft nur kühles Kalkül. Und dem, der richtig kombiniert, hilft Fortuna: Casavecchia überlegt, wer ihm diesen üblen Streich gespielt haben könnte, und kommt auf Brancacci. Ein guter Freund bestätigt ihn in diesem Urteil, und so lässt Casavecchia Michele zu sich rufen: Würdest du den Dunkelmann von letzter Nacht an der Stimme wiedererkennen? Der Knabe bejaht und wird unauffällig zu einem Treffen mit Brancacci geführt, der unter einer Schar von Freunden das große Wort führt. Bei Micheles Anblick erbleicht er: Dieser zeigt mit dem Finger auf ihn, der Betrüger ist blamiert, und ganz Florenz trällert in diesem Karneval: Bist du der Brancacci oder bist du der Casa?
    Die Moral von der Geschichte: Betrügen will gelernt sein. Brancacci hätte nicht nur seinen Namen, sondern auch seine Stimme verfälschen müssen, um Erfolg zu haben. Fazit und zugleich Lektion für die Politik: Strategie ungenügend, Gegenstrategie erfolgreich, weil auf rationaler Planung beruhend und kühlen Kopfes durchgeführt. Darüber hinaus zeigt die Geschichte beiläufig, dass Homosexualität in Florenz nach Savonarola, der sie mit dem Tode bestraft sehen wollte, als eine lässliche Sünde galt, die mit der Strafe der Lächerlichkeit belegt wurde. Mit ihrem Anfang erinnert die Geschichte vom betrügerischen Freier an Machiavellis Brief aus Verona. Auch in Florenz weiß einer der beiden Beteiligten nicht, mit wem er sich einlässt, und erlebt ein peinliches Erwachen. Sexualität und Betrug gehörten für Machiavelli offensichtlich eng zusammen. Der «Wahrheitsgehalt» der Geschichte kann deshalb nicht verbürgt werden – ob Geschichten oder Geschichte: Machiavelli formte die Stoffe, wie es ihm passte.
    Der Briefwechsel über solche Themen ließ sich jedoch nur aufrechterhalten, wenn Machiavelli seinerseits Geschichten beisteuerte, die er selbst erlebt hatte. Vettori hatte es schließlich vorgemacht. In diesem Sinne stellte Machiavelli seinem Brief vom 31. Januar 1515 ein Sonett voran, das wie folgt beginnt:
Der junge Schütze mit dem Bogen
hatte schon oft versucht, mir die Brust zu verletzen
mit seinen Pfeilen, denn er freut sich über den Ärger
und den Schaden, den andere dadurch davontragen.[ 3 ]
    Amor ist für Machiavelli von erlesener Bösartigkeit. Er verschießt seine Liebespfeile nicht aus Liebenswürdigkeit, sondern aus purer Schadenfreude. Gerade deshalb sucht er sich ein so widerstandsfähiges Ziel wie Machiavelli aus, dessen Brust härter als ein Diamant ist. Doch der erboste Amor tauscht den Bogen, tauscht die Sehne, tauscht den Pfeil – und trifft ins Schwarze:
Und er schoss mit solcher Gewalt,
dass mich die Wunden immer noch schmerzen,
und ich gestehe und erkenne jetzt seine Macht.[ 4 ]
    Aus der Feder Machiavellis klangen solche Verse verdächtig konventionell. Sie folgten der Logik, dass derjenige, der den amourösen Ratgeber spielte, selbst Erfahrungen und Erfolge vorzuweisen haben musste:
Ich könnte auf Euren letzten Brief nicht passender antworten als mit dem oben stehenden Sonett. Daraus erseht ihr, welchen Fleiß dieser kleine Dieb von Amor darauf verwendet hat, mich anzuketten.[ 5 ]
    Die nachfolgenden Erzählungen laufen allerdings eher auf eine Liebelei mit mancherlei müßigem Geplänkel hinaus. So bleibt nur die Schlussfolgerung, dass sich nichts von den amourösen «Geständnissen», die zwischen Florenz und Rom ausgetauscht wurden, so abgespielt haben muss wie berichtet. Beide Briefpartner zeichneten sich so, wie sie gesehen werden wollten, und vielleicht auch so, wie sie sich selbst sahen.
    Innere Emigration
    Das Spiel mit Fiktion und Realität setzte sich in den Briefen fort, mit denen Machiavelli seinen elenden Alltag zugleich dramatisierte und ironisierte. In dieser doppelten Tonlage ist vor allem das Schreiben vom 10. Dezember 1513 gehalten. Darin schildert Machiavelli seinen Tageslauf in seiner baufälligen Villa auf dem Lande. Doch zunächst wendet er sich mit versöhnlichen Worten an Vettori:
Göttliche Gnade ließ nie lange auf sich warten. Ich sage das, weil ich

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