Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Folgezeit nicht mehr angesprochen, es sei denn in ironisch wegwerfenden Bemerkungen. Diese Zurückhaltung gab Machiavelli vor, der unmittelbar nach den stolzen Sätzen der Selbstbehauptung zum aktuellen Florentiner Klatsch überging. Danach drehte sich die Korrespondenz bis zum Januar 1515 im Wesentlichen um zweierlei: um Politik und um amouröse Verwicklungen. Je länger darüber berichtet wurde, desto näher kamen sich diese scheinbar grundverschiedenen Themenbereiche. Wer plant welche Eroberung mit welchen Methoden? Und welche Vorgehensweise verspricht den erhofften Erfolg?
Im Makrokosmos der großen Politik standen zwei Fragen im Vordergrund: Erstens: Was will Leo X. erreichen, und mit wem wird er sich zu diesem Zweck verbünden? Und zweitens: Welche Rolle spielt die Eidgenossenschaft, jetzt und in Zukunft? Bei diesen Erörterungen holten beide Briefpartner weit aus und stellten alle möglichen Spekulationen an: Wenn der Papst dies tut, wird Frankreich so und nicht anders reagieren, was wiederum Spanien auf den Plan bringen, England nicht unberührt lassen und die Schweizer zu eigenen Reaktionen veranlassen wird. Dabei waren sich der ehemalige Sekretär der Republik und der unterbeschäftigte Botschafter stets bewusst, Zaungäste beim Spiel der Mächtigen zu sein. Das war eine Situation, die der geheimen Komik nicht entbehrte, das wussten beide. Vettori aber sprach es in seinem Brief vom 12. Juli 1513 als erster an:
Obwohl ich der Meinung bin, dass sich die Dinge nicht nach der Vernunft entwickeln, und ich es deshalb eigentlich für überflüssig halte, darüber zu reden, zu disputieren und zu diskutieren, so bin ich doch seit vierzig Jahren so daran gewöhnt, dass ich mich dessen nicht mehr enthalten und auch nicht an andere Themen und Gedanken gewöhnen kann.[ 67 ]
Über Politik zu reden, wenn man sie nicht aktiv gestalten kann, war für Vettori eine schlechte Angewohnheit, ja geradezu ein Laster, das süchtig machte. Die politischen Luftschlösser, die er und Machiavelli bauten, waren für ihn der Ersatz für eine Realität, die ihnen verbaut war: Damit rührte Vettori kräftig in Machiavellis Wunden, dem die Politik verboten war. Vettori hingegen stand sie offen, selbst auf seinem angeblich so verlorenen Posten in Rom, wie gelegentlich angedeutet wird. Vettori konnte sich also den Spott über die gemeinsamen Sandkastenspiele erlauben, und er machte in seinem Schreiben vom 23. November 1513 reichlich Gebrauch davon:
In Wahrheit habe ich Euch damals nicht geantwortet, weil ich fürchtete, dass es uns so gehen könnte, wie es mir und Panzano manchmal ergangen ist, als wir mit einem schlechten Blatt Karten spielten und nach einem neuen verlangten. Und als diese dann eintrafen, hat einem von uns das Geld gefehlt. Genauso sprachen wir davon, die Fürsten miteinander zu versöhnen, während diese ihr Spiel weiter betrieben.[ 68 ]
Die Politik, so Vettori, hat ihre eigenen Gesetze, die sich mit allen noch so intensiv betriebenen intellektuellen Anstrengungen nie völlig erfassen lassen. Denn Intellektuelle gehen mit Vernunft vor, die Mächtigen hingegen nicht. Sie lassen sich von ihren Vorlieben und Gelüsten leiten und agieren deshalb nicht planvoll, sondern sprunghaft und unberechenbar. Um ihre nächsten Schritte vorhersagen zu können, müsste man in ihr innerstes Wesen tiefer eindringen können, als es Außenstehenden möglich ist. Das schließt jedoch nicht aus, dass sich aus den Eigenschaften, die Fürsten und Republiken bislang an den Tag gelegt haben, plausible Rückschlüsse auf ihr Verhalten in der Zukunft ziehen lassen. Das gilt auch für die Schweizer:
So ist, wie mir Casa schreibt, das, was Ihr Euch zu den Schweizern einbildet, nicht zu befürchten. Sie werden sich nicht mit den übrigen Deutschen verbünden. Dafür ist nicht einmal die Feindschaft mit diesen ausschlaggebend und auch nicht, dass sie das Haus Österreich immer wieder schwer beleidigt haben. Der Grund ist vielmehr, dass sie klug genug sind, um zu wissen, dass ihnen eine gestärkte Machtstellung des Kaisers schadet. Und auch dass sie Kolonien bilden, ist kaum zu befürchten. Dazu sind sie nämlich, wie Ihr wisst, nicht zahlreich genug. Ihnen genügt es, reiche Beute und viel Geld einzusammeln und nach Hause zurückzukehren. Und wenn Ihr mir darauf entgegnet: Der Kaiser könnte seine Haltung ändern, und die Schweizer könnten auf Kosten der anderen lernen, so gebe ich das theoretisch zu. Doch die Dinge dieser Welt sind nicht
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