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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
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geht auf amouröse Beutezüge. Auch dieses unverfängliche Thema gab der einfühlsame Vettori vor. Er durfte sich sicher sein, dass ihm Machiavelli nur allzu willig folgen würde, schließlich hatte er auch auf diesem Gebiet einen Ruf zu verteidigen. Vettori eröffnete das Spiel mit Briefen, die er zwischen dem 23. November 1513 und dem 18. Januar 1514 schrieb und in denen er sich als schüchtern und zögerlich darstellte und das folgende, wahrhaft bühnenreife Szenarium entwarf.
    Im Gegensatz zu Euch bin ich kein Eroberer, sondern möchte mich lieber selbst erobern lassen. Ich wohne hier im römischen Borgo, im Windschatten des Vatikans, ruhig, behaglich, geradezu idyllisch. Die wenigen Geschäfte lassen mir Muße im Überfluss, und so komme ich unweigerlich auf dumme Gedanken. Meine verwitwete Nachbarin ist reizvoll. Abends treffen wir uns am Kamin zum gutnachbarschaftlichen Plausch. Dazu bringt sie ihre Tochter mit, die ebenso reizend wie schüchtern und blutjung ist. Bei diesen Gelegenheiten lächelt mir die Mutter so zu, dass es mir ganz schwindlig im Kopf wird. Schließlich bin ich ein Mann von vierzig Jahren, verheiratet und Vater von Töchtern, die es selbst bald an den Mann zu bringen gilt. Die Vernunft spricht gegen ein Abenteuer, doch was kann die Vernunft schon gegen die Verliebtheit ausrichten? Zu unseren trauten Zusammenkünften bringt die Nachbarin manchmal auch ihren Sohn mit, einen ebenfalls wohlerzogenen und wohlgestalteten Knaben. Dieser wiederum zieht einen meiner Bekannten geradezu magisch an. Ja, dieser macht dem Jungen sogar kaum verhüllte Anträge, die dieser züchtig überhört. Aber gilt diese milde Zurückweisung auch für den weiblichen Teil der Familie? Was soll ich tun, was ratet Ihr mir?
    Die Situation, die Vettori in seinen Briefen entwirft, wirkt konstruiert, wie ein Köder. Machiavelli schluckte ihn sofort. Er riet Vettori nicht nur zu kühnem Draufgängertum, sondern auch zur Sorglosigkeit. Er solle die anderen nur reden lassen; wenn sie sich das Maul zerrissen, dann doch nur aus Neid. Grundsätzlich, so Machiavelli, bringt jede Eroberung dem Eroberer Ruhm, auch in der Liebe. Denn der Mensch hat nur ein Leben, das es zu genießen gilt. Carpe diem, «Pflücke den Tag», und nutze die Gelegenheit, wie sie sich bietet: Mit solchen Ratschlägen wurde Vettori jetzt förmlich eingedeckt.
    Diese in den Augen von Moralaposteln unanständige Moralphilosophie lag Machiavelli offensichtlich am Herzen. Wer sich von Konventionen einengen oder gar abschrecken lässt, lebt gegen die Natur. Der Kirche billigte er in dieser grundsätzlichen Frage schon gar kein Urteil zu. Sexualität gehörte für Machiavelli zum Leben, zu seinen Spielen und zu seinen Kämpfen. Deshalb war es für ihn auch erlaubt, diese Dinge beim Namen zu nennen, was vor allem für die Humanisten der Zeit ein unerhörter Tabubruch war.
    In einem Brief vom 25. Februar 1514 erzählt Machiavelli mit sehr drastischen Worten die Geschichte von einem betrogenen Sex-Betrüger. Giuliano Brancacci, ein stadtbekannter Homosexueller fortgeschrittenen Alters, nahm im Dunkeln die Dienste eines Strichjungen namens Michele in Anspruch und vertröstete diesen danach mit der Bezahlung. Doch um seinen verdienten Lohn, so Brancacci, müsse er sich keine Sorgen machen, er heiße Filippo Casavecchia und habe in dieser Stadt ein Geschäft. Der schöne Knabe forderte am nächsten Tag bei diesem sein Geld ein, wurde aber natürlich abgewiesen:
Michele, du bist betrogen worden. Ich bin ein Mann von guten Sitten und neige nicht zu solchen Unanständigkeiten. So solltest du, anstatt mich ohne Nutzen für dich zu beschuldigen, mit mir zusammen lieber daran denken, wie wir diesen Betrug aufdecken und den finden, der mit dir sein Vergnügen gehabt hat. Lass mich nur machen. Komm morgen wieder, und ich werde dir meinen Plan mitteilen.[ 2 ]
    Was wie ein Sittenskandal aussieht, wird von Machiavelli sofort in ein strategisches Planspiel umgedacht: Der Betrug verlangt nach einem Gegenbetrug, genau wie in der Politik. Mit einem Unterschied: Auf diesem Feld können sich auch diejenigen betätigen, die von der Politik ferngehalten werden. Mehr noch: Hier können sie die Fähigkeiten ausbilden, die ihnen beim Wiedereintritt in die Politik von Nutzen sein werden.
    In Wirklichkeit ist Casavecchia jedoch nicht so gelassen, wie er tut, sondern «unruhig wie das Meer von Pisa, wenn eine plötzliche Böe den Gischt aufpeitscht». Seine Überlegungen münden in ein

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