Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
Vom Netzwerk:
Einschränkung in Sachen Schweiz ließ Machiavelli gelten: Ganz so groß wie die alten Römer würden die Eidgenossen wohl nicht werden. Dass sie überhaupt so mächtig geworden waren, verdankten sie der Nachahmung Roms. Nicht als Folge gelehrter Studien, sondern durch ihren untrüglichen Machtinstinkt waren sie den römischen Erfolgsrezepten gefolgt. Damit zeigten sie unbewusst auf, was der Geschichtsdeuter Machiavelli hieb- und stichfest beweisen konnte: Von Rom lernen, heißt siegen lernen. Wie die alten Römer waren die Schweizer Bürger zugleich Soldaten. Wie bei den alten Römern gab es bei ihnen keine politischen Parteien und keine Netzwerkführer wie die Medici. Die Großen der Schweiz haben keine Klientel, mit der sich eine Republik beherrschen lässt. Stattdessen herrscht bei ihnen die freie Konkurrenz zwischen den Großen und dem Volk. Zudem handelten die Schweizer nach dem Gesetz der Notwendigkeit, das alle erfolgreichen Staaten lenkte. Diese Notwendigkeit, so der selbsternannte Zukunftsdeuter Machiavelli, werde die Schweizer dazu anleiten, ihre Bundesgenossen schrittweise zu Untertanen herabzudrücken. Auch diese Vorgehensweise hatten die alten Römer vorgemacht. Denn nur so konnte eine erfolgreiche Eroberung überhaupt vonstatten gehen. Wenn ein kleinerer Staat einen größeren besiegt hat und diesen sofort unterwerfen möchte, wird er daran zugrunde gehen. Die Unterworfenen trauern ihrer verlorenen Freiheit nach und werden die erste Gelegenheit, die sich bietet, nutzen, um ihre Freiheit zurückzugewinnen. Kluge Eroberer gehen daher anders vor: Sie gewöhnen die Geschlagenen schrittweise an ein Joch, dem sie nimmermehr entkommen werden. So machten es die Römer, so halten es jetzt die Schweizer.
    Die Tour d’horizon der beiden Stammtisch-Politiker vertiefte sich unversehens zu einer Debatte darüber, was sich aus der Geschichte lernen ließ. Für Machiavelli standen deren Gesetze unverrückbar fest: Wer nicht dem römischen Vorbild folgte, konnte langfristig keinen Erfolg haben, wie man am Beispiel Venedig sehen konnte. Venedig schlug seine Seeschlachten mit eigenen Befehlshabern, doch zu Lande verließ sich die Serenissima zu ihrem Schaden auf bezahlte condottieri. Machiavelli sagte deshalb den baldigen Untergang der Markus-Republik voraus. Ein Staat, der sich auf Söldner stützte, musste zahlreiche weitere Defekte aufweisen. Parallel dazu fiel sein Bild der Schweiz immer strahlender aus: In der Eidgenossenschaft spielte die Religion die Rolle, die ihr zukam. Sie stärkte den Staat, während sie ihn in Italien schwächte.
    Der Briefwechsel mit Vettori zeigt, wie sich Machiavellis Ideen zu einem geschlossenen System zusammenfügten und verfestigten. Das konnte nicht ohne weitere Zwänge und mancherlei Seltsamkeiten abgehen. Dass die Eidgenossenschaft mit ihren (ab 1513) dreizehn souveränen Teilrepubliken Italien von sich abhängig machen würde, war für Vettori zu Recht eine verstiegene Vorstellung. Doch für Machiavelli musste es nun einmal so sein; was die Römer vorgemacht hatten, musste sich auch in der Gegenwart bewähren. Unbelehrbar zeigte sich Machiavelli auch hinsichtlich der Ursachen, die den Untergang der florentinischen Republik und damit seinen eigenen Sturz herbeigeführt hatten:
Wenn Ihr alle Ereignisse im Überblick betrachtet, werdet Ihr sehen, dass der spanische König gerissen und vom Glück begünstigt, doch alles andere als klug und vorausschauend ist.[ 71 ]
    Spanien hatte also nur durch Zufall gewonnen. Frankreich hingegen hätte gewinnen müssen, wenn sein König wie Machiavelli das Notwendige erkannt hätte:
In dieser Unternehmung setzte der spanische König … ohne Notwendigkeit seine Staaten aufs Spiel, was für jeden Fürsten eine untragbare Verwegenheit darstellt. Ich sage: ohne Notwendigkeit, denn er hatte im vorangehenden Jahr erlebt, dass der Papst Frankreich unaufhörlich beleidigt hatte, dessen Freunde angriff und Genua zur Empörung treiben wollte. Doch obwohl der Papst Frankreich unaufhörlich provoziert hatte, schickte Spanien ihm seine Truppen zum Nachteil seiner Schutzbefohlenen. Doch als Frankreich dann siegte, den Papst in die Flucht schlug, all seiner Truppen beraubte und ihn aus Rom ebenso hätte verjagen können wie Spanien aus Neapel, wandte es sich nicht dem Krieg, sondern dem Frieden zu.[ 72 ]
    Im Falle Spaniens verlief die Geschichte für Machiavelli paradox: Der spanische König handelte gegen die ehernen Gesetze des politischen Erfolgs und siegte

Weitere Kostenlose Bücher