Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
machiavellische Staatsdenken nie habe durchsetzen können. Trotzdem billigte Strauss in seiner vielschichtigen und gedankenreichen Analyse Machiavelli die Attribute einsamer Größe zu – auch die Teufel waren schließlich gefallene Engel.
Wie kam Machiavelli zu seinen Ideen, die noch im 21. Jahrhundert Protest oder Zustimmung provozieren, doch nie kaltlassen? Welche Erfahrungen hat Machiavelli gemacht, um so zu denken? Wo und wie hat er die Beobachtungen getroffen, auf denen sein Bild vom Menschen und der Geschichte beruht? Die nachfolgende Lebensgeschichte soll auf diese Fragen Antworten geben.
I. DIE KUNST, SICH EINEN NAMEN ZU MACHEN 1469–1498
Der unbekannte Kanzler
Am 28. Mai 1498 wählte der Rat der Achtzig Niccolò Machiavelli, Sohn des Bernardo, zum Sekretär der Florentiner Regierung und Chef der Zweiten Kanzlei, und zwar mit einem Gehalt von 128 Golddukaten pro Jahr; das entsprach in etwa dem Dreifachen eines Handwerkereinkommens. Zu diesem Zeitpunkt war der Gewählte 29 Jahre und 25 Tage alt; wie es der Zufall wollte, war das auf den Tag genau die Hälfte seines Lebens.
Im Rückblick eines halben Jahrtausends erscheint diese Wahl überraschend. Der Gewählte hatte bislang keinerlei Spuren in öffentlichen Dokumenten hinterlassen, und das in einer Republik, die einem Viertel ihrer männlichen Bevölkerung politische Rechte verliehen hatte. So finden sich in den Protokollen von Räten und Behörden aller Art Tausende von Namen, nicht nur von Patriziern, sondern sogar von Angehörigen der unteren Mittelschicht. Doch was Niccolò di Bernardo Machiavelli betrifft: Fehlanzeige. Auch die privaten Zeugnisse sind dünn gesät. Gerade einmal zwei Briefe, die seine Existenz belegen, haben sich vor dem plötzlichen Austritt aus der Anonymität erhalten; der älteste stammt vom 2. Dezember 1497, führt also auch nicht viel weiter ins Halbdunkel dieses Lebens zurück. Wer Machiavellis Geschichte schreiben will, muss deshalb immer wieder spätere Quellen wie etwa Briefe heranziehen, in denen er sich über seine Familie und seinen Werdegang äußert. Doch auch solche Dokumente sind rar. In Florenz, einer Stadt mit weniger als 50.000 Einwohnern, kannte man sich; einen geschriebenen Lebenslauf musste niemand bei der Bewerbung um ein Amt vorlegen.
Florenz liebte Machiavelli mehr als seine Seele:
Vasaris Fresko zeigt die Stadt am Arno in einem ihrer dramatischsten Momente,
bei der Belagerung durch ein spanisches Heer im Sommer 1530.
Die Florentiner, die für Machiavelli stimmten, wussten also, wem sie ihr Vertrauen schenkten. Immerhin gab es starke Konkurrenz. Um den relativ einträglichen Posten bewarben sich Florentiner mit wohlklingenden Titeln: ein Professor für Beredsamkeit, ein Notar, ein weiterer studierter Jurist. Trotzdem machte der diplomlose und relativ junge Machiavelli das Rennen: Am 19. Juni bestätigte der Große Rat, die Vertretung aller politikfähigen Bürger, seine Ernennung. Der neue «Zweite Kanzler» muss gewichtige Fürsprecher gehabt haben. In der Republik Florenz bestimmten die Netzwerke der führenden Familien die Politik. Wer nicht selbst so viel zählte, dass er andere protegieren konnte, war auf Empfehlungen aus den Kreisen der primi, der mächtigen Clanchefs, angewiesen. Machiavellis Wahl fiel mit einem Wendepunkt der florentinischen Geschichte zusammen. Fünf Tage bevor die Achtzig für seine Ernennung stimmten, hatte die Stadtregierung (Signoria) Girolamo Savonarola, den Prior des Dominikanerklosters von San Marco, als Ketzer verbrennen lassen. Von November 1494 an hatte der wortgewaltige Bußprediger starken Einfluss auf die neu ausgearbeitete Verfassung und danach auch auf die Tagespolitik von Florenz ausgeübt. Nach seiner Hinrichtung verloren viele seiner Parteigänger ihre Posten, nicht nur in der politischen Führungsspitze, sondern auch in der Verwaltung. Durch diese Säuberung wurde die Stelle des Sekretärs und Zweiten Kanzlers überhaupt erst frei – des einen Leid, des anderen Freud. Schließlich muss die Mehrheit der stimmfähigen Florentiner dem erfolgreichen Kandidaten Machiavelli zugetraut haben, seinen Aufgaben als Chef der Zweiten Kanzlei auch ohne Studium, Titel und Urkunden gewachsen zu sein. Diese waren ebenso anspruchsvoll wie vielfältig, denn der Zweite Kanzler war je nach Bedarf für Probleme der inneren wie der äußeren Politik zuständig, von Fragen der Militärorganisation bis zu den heikelsten diplomatischen Missionen.
Girolamo Savonarola,
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