Macho-Mamas
war ein Freitagabend im August. Draußen dämmerte es, die Kollegen hatten sich ins Wochenende verabschiedet, die Redaktion lag verlassen da. Nur am Schreibtisch einer Macho-Mama brannte noch Licht. Unten auf der Straße eilten Menschen ihren Verabredungen entgegen. Auch die Macho-Mama hätte gern Schluss gemacht. Sie surfte im Internet, auf der Suche nach Themen, die sie nächste Woche aufbereiten könnte. Für den Blog, den sie seit ein paar Monaten für ein großes Medienunternehmen schrieb, über Mütter, Babys, Frauen, Männer, Väter, Kinder und all die Probleme, die sich daran anknüpfen. Der Job war nicht gut bezahlt, aber der Blog war ihr Baby. Sie hatte es ausgetragen und geboren, es saubergewischt und gestillt. Und sie wusste, dass der Blog ihre Chance war, die Themen zu lancieren, die sie schon so lange mit sich herumtrug. Themen, die man bisher gern am Rande abhandelte. «Mütter? Nicht sexy», hieß es. Und: «Das interessiert den Leser nicht.»
Diese Aussage war bis vor wenigen Jahren eine äußerst beliebte Abwehrformel von Chefredakteuren, wenn eine Idee ihre Vorstellungskraft sprengte. Oder aus einer Welt kam, die sie nur vom Hörensagen kannten. Die Schattenwelt zwischen Spielplatz und Spinatkuchen gehörte fast immer dazu. Das war damals, als es nur Printjournalismus gab, als man in nüchternen Konferenzräumen beisammensaß und herauszufinden versuchte, ob das, was täglich gedruckt wurde, irgendjemanden interessierte. Jeder Titel eine Nebelpetarde, von der man hofft, dass sie da draußen in der ominösen Leserschaft zündet, jeder Artikel ein Minnesang, bei dem nie klar wird, ob der Leser, diese launische Angebetete, überhaupt zuhört.
«Wir müssen den Leser da abholen, wo er ist», hieß es. Oder: «Wer soll das lesen?» Und so trugen die Redakteure meistens Themen vor, die sie selber interessierten, worauf ihr Vorgesetzter ihnen das aufs Auge drückte, was ihn selber interessiert: «Frauenquoten in Schweden? Interessant, aber schreib doch lieber was über diesen Jungstar, der sich so peinlich vor der Kamera aufführt.»
Und dann kam das Internet. Online-Journalismus unterscheidet sich vom Printjournalismus unter anderem darin, dass leichter messbar ist, was der Leser tatsächlich zu lesen wünscht. Im Internet kann er sich außerdem zum Geschriebenen direkt äußern und damit deutlich machen, was er von den ihm vorgesetzten Artikeln hält. Der Leser ist zwar immer noch eine launische Geliebte, aber eine, die laut und deutlich zu verstehen gibt, was sie von ihrem Verehrer erwartet und ob er diese Erwartungen befriedigt. Als ein kluger Chef das Konzept der Macho-Mama durchboxte und der Blog als Mamablog online ging, entwickelten sich die Einschaltquoten prächtig, die Resonanz war gut, der Blog wurde trotz der Mutter sexy. Die Autorin bekam sogar eine Kollegin aus der Redaktion zur Seite gestellt. Man verstand einander gut und spornte sich gegenseitig an.
Die Macho-Mama schlüpfte aus ihren Schuhen, streckte die Zehen und legte ihre Beine auf den Schreibtisch. Vielleicht konnte sie ihre Themen ja erst am Sonntagabend aufbereiten? Endlich das Wochenende mit Mann und Kindern verbringen, die sie ohnehin viel zu selten sah? Sie lehnte sich zurück, griff nach dem Smartphone und scrollte auf Facebook durch die Statusmeldungen. Und las, neben dem Profilbild ihrer Kollegin: «Am nächsten Dienstag Diskussionsrunde des Schweizer Fernsehens über Mutterschaft, ich werde da sein.»
Macho-Mama war fassungslos! So lange hatte sie für ihren Erfolg gearbeitet, hatte alles auf sich genommen, die Stunden im Büro, die Überzeugungsarbeit bei den Chefs, das atemlose Hin und Her zwischen Familie und Job – und jetzt, als sich endlich zeigte, dass ihre Ideen, an die die Gatekeeper niemals geglaubt hatten, wirklich taugten, rannte die andere los, diese Schlampe, noch bevor überhaupt der Startschuss gefallen war. Das war ihr Blog, sie hatte ihn aufgebaut, sie hatte die andere ausgewählt, sie war hier der Chef. Sie war außer sich. Sie war ratlos. Aber eins wusste sie: Nie wieder würde sie sich so über den Tisch ziehen lassen.
Die andere Macho-Mama war gerade beim Putzen, als der Anruf sie erreichte. Sie putzte nicht ungern, wenn sie mal Zeit dafür fand. Die Woche über war sie für ihren Job unterwegs, der Miete, Essen und Versicherungen der Familie bezahlte, und am Wochenende brauchte sie mal Pause. Natürlich hätte sie eine Putzfrau engagieren können, aber ihr gefiel die Vorstellung der
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