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Macho Man: Roman (German Edition)

Macho Man: Roman (German Edition)

Titel: Macho Man: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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Und das macht doch Mut. Irgendwie.
    Am Friesenplatz steige ich aus – hier kann Köln immerhin mit einem Werk des internationalen Star-Architekten Norman Foster aufwarten, der in Berlin die Kuppel des Reichstags und in London einen Wolkenkratzer in Gurkenform entworfen hat. Leider hatte Foster offenbar den Barbarossaplatz gesehen und wollte das Gesamtkonzept der Stadt Köln nicht durch übertriebene Ästhetik torpedieren, sodass sein »Ring-Karree« etwa so aufregend ist wie ein graues Leinen-Sakko aus der C&A-Young-Collection.
    Jetzt sind es nur noch fünf Minuten bis zu meinem Arbeitsplatz, einem Büro in der Werbeagentur »Creative Brains Unit«. Wie kommt ein relativ intelligenter, nicht geisteskranker Mann von 33 Jahren in eine Branche voller Kokser, die sich um drei Uhr nachts auf der Herrentoilette irgendeiner Champagner-Bar von magersüchtigen Super-Models einen blasen lassen?! Nun, zum einen sind das Klischeevorstellungen von der Werbebranche, die so überhaupt nicht zutreffen: Abgesehen davon, dass ich mir Koksgar nicht leisten könnte, arbeiten in einer Werbeagentur ganz normale Menschen, die nichts anderes zu tun haben, als ganz normale Produkte so extravagant zu präsentieren, dass ganz normale Leute sie kaufen.
    Zum anderen wollte ich eigentlich zum Film – Kino, das war mein großer Traum. Nach dem Abitur habe ich mit meiner Videokamera kleine Filmchen gedreht. Mein persönliches Highlight war eine Flipper-Parodie, in der ich Flipper durch eine sprechende Gewürzgurke ersetzt habe, die eine übermenschliche moralische Integrität besitzt und Kinder vor dem Ertrinken rettet. Die Berliner Filmhochschule konnte sich allerdings nicht vorstellen, dass heroische Gewürzgurken zur internationalen Reputation des deutschen Films beitragen können, und so wurde meine Bewerbung abgelehnt.
    Als ich Mark das Video gezeigt habe, hat er Tränen gelacht (damals haben wir übrigens noch nicht Udo Lindenberg imitiert) und die Kassette anschließend seinem Onkel in die Hand gedrückt, der Junior-Produzent bei »Creative Brains Unit« war. Er fand die Idee großartig und meinte, man sollte den Film professionell neu produzieren und damit das Image der guten alten Spreewaldgurke humorvoll aufpeppen. Der Plan scheiterte zwar, weil die Produzenten der Spreewaldgurke den Eindruck hatten, dass der Film ihr Produkt nicht bewirbt, sondern verarscht; aber Marks Onkel war von meinem Talent überzeugt und bot mir eine Praktikantenstelle in der Agentur an, die ich dankend annahm. Ziemlich schnell habe ich mich zu einer Festanstellung im Kreativ-Team hochgearbeitet, und so sitze ich heute in einem hellen Altbau-Büro in der Brüsseler Straße und schaue auf ein Flipchart, auf das mein Chef Rüdiger Kleinmüller (der Senior-Produzent) gerade die Worte »Koffeinfreier Kaffee« schreibt.
    »Wenn man die Worte ›Koffeinfreier Kaffee‹ hört, was ist der first thought?«
    Habe ich gesagt, dass in der Werbebranche nur ganz normale Menschen arbeiten? Nun ja, es kommt natürlich darauf an, wie man »ganz normal« definiert. In der Werbebranche findet man es zum Beispiel »ganz normal«, dass man nicht »erster Gedanke« sagt, sondern »first thought«. Auf Englisch klingt es einfach vielprofessioneller. Die Frage war übrigens rein rhetorisch. Rüdiger Kleinmüller hört sich viel zu gerne reden, als dass er Antworten abwarten könnte.
    »1000 Marktforschungsfragebögen. 1000 Antworten auf die Frage ›Was ist Ihre erste Assoziation zu Koffeinfreiem Kaffee?‹ Was meint ihr, sind die Top five associations?«
    Wie gesagt, seine Fragen sind rhetorisch. Deshalb warten auch alle brav, als Kleinmüller die Antworten auf das Flipchart schreibt:
    • Langweilig.
    • Uncool.
    • Überflüssig.
    • Nur für Frauen.
    • Schlechter Geschmack.
    »Wir sehen also: Wir haben hier ein Produkt, das keiner braucht und das niemand haben will. Also müssen wir einen need createn.«
    Einen »need createn« ist Rüdiger Kleinmüllers Lieblingsformulierung. Will heißen: ein Bedürfnis schaffen. Erreichen, dass Erika Mustermann, Otto Normalbürger und all die anderen plötzlich denken: »Mein Gott, wie konnte ich nur so lange ohne koffeinfreien Kaffee leben? Ich sterbe, wenn ich nicht sofort koffeinfreien Kaffee kriege!«
    In diesem Fall ist das Createn eines needs tatsächlich eine Kunst, denn koffeinfreier Kaffee kommt in den Top 3 der nutzlosesten Produkte aller Zeiten noch vor Herren-Strumpfhosen und aufziehbaren Hüpfpenissen. Koffeinfreier Kaffee ist

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