Macho Man: Roman (German Edition)
Reiner-Calmund-Imitationen. Als ich im Board-Shop-Magazin die Yves-Saint-Laurent-Werbung sehe, bin ichversucht, meine beim Hinflug vergeigte Pointe an Viviane zu testen, werde aber zum Glück von der Stewardess gestoppt:
»Wir haben soeben die Starterlaubnis erhalten. Bitte schalten Sie alle elektronischen Geräte aus und bringen Sie Ihre Rückenlehnen in eine aufrechte Position ... Wi häff rezieft se schtarting pörmischen...«
Englisch mit kölschem Akzent – diese unfreiwillige Comedy-Einlage kann ich leider nicht richtig genießen, denn meine Flugangst meldet sich zurück. Automatisch fährt meine Hand zum Asthma-Spray. Es ist nicht da. O nein, schon wieder im Gepäckfach. Der ideale Moment, in Panik zu geraten. Aber irgendetwas in mir sträubt sich. Ich habe keine Lust, Viviane das Bild der deutschen Weichei-Männer zu bestätigen. Im Geiste lasse ich die Bilder an mir vorüberziehen, wie ich die Soldaten und Rosenverkäuferinnen in die Flucht geschlagen habe, wie ich dem Tod von der Schippe gesprungen bin, wie ich Aylin tapfer mit meiner Eifersucht konfrontiert habe ... Ich atme tief durch. Ein leichtes Rasseln – aber kein Grund für das Asthma-Spray. Ich packe das!
Mir fällt auf, dass Viviane merkwürdig still geworden ist. Ihr Lipgloss schimmert jetzt nicht mehr knallrot, sondern rosa. Ich stehe kurz neben mir und höre mich sagen:
»Keine Sorge! Flugzeuge sind statistisch gesehen die sichersten Fortbewegungsmittel überhaupt.«
Unglaublich! Ich, Daniel, die personifizierte Flugangst, rede während des Startvorgangs beruhigend auf meine Sitznachbarin ein. Ein absoluter Durchbruch ... Okay, ich habe es mit der Stimme von Reiner Calmund gesagt. Aber die Stimme von Reiner Calmund klingt definitiv beruhigender als meine. Und es wirkt: Viviane lacht!
»Ey, das klingt wie Reiner Calmund.«
»Ja, natürlisch, dat hab isch mit dem Ruddi Völler alles jeklärt: Wenn im Fluchzeusch ene Blondine neben dir Fluchangst hat, dann, hat dä Ruddi jesagt, sprisch so wie dä Calli, dann lacht die Blondine, dann hatt se auch keine Fluchangst mehr, dat is hundertprozentig klar, da müssen wir überhaupt nit drübber diskutieren ...«
»Ey geil. Das ist ja wohl obergeil.«
Obergeil. Das Wort gibt's also auch noch ... Ein Luftloch. Wahrscheinlich sind wir schon über Griechenland, denn mein Magen tanzt Sirtaki. Da bemerke ich, dass Viviane vor Angst ihre Fingernägel in meinen Oberschenkel krallt, und zwar bedenklich weit oben. Was noch vor ziemlich genau 14 Tagen eine heiße erotische Phantasie gewesen wäre, wird in diesem Moment zu einem echten Problem, denn ich habe Angst, jetzt eine Erektion zu bekommen. Das würde doch bedeuten, dass ich etwas von Viviane will – ein kleiner Betrug an Aylin, und das nicht mal zwei Stunden nach der Verabschiedung. Ich konzentriere mich also auf meine Flugangst, um mich von der sexuellen Erregung abzulenken. Das führt allerdings dazu, dass meine Bronchien enger werden. Dann spielen sich in kurzer Zeit folgende Ereignisse ab: Trotz der erleuchteten Anschnallzeichen stehe ich auf und öffne das Gepäckfach. Ein zweites Luftloch überstehe ich heldenhaft, indem ich mich an einer Kopflehne festkralle. Exakt in dem Moment, als ich bemerke, dass es gar keine Kopflehne ist, sondern der Kopf des Vermögensberaters, befördert das dritte Luftloch Vivianes Beauty-Case mit Schwung aus dem Gepäckfach und verletzt nur deshalb niemanden auf den gegenüberliegenden Sitzen, weil mein Schädel den Flug sanft abfedert. Ich sehe Sternchen und sacke zusammen.
Meine dritte Ohnmacht in zwei Wochen – das ist neuer Rekord. Als ich aufwache, ist mein Asthma verschwunden. Super, ich werde dem Gesundheitsministerium mitteilen, dass ich einen Durchbruch in der Asthmatherapie erzielt habe: K.-o.-Schläge! Wenn sich demnächst in Köln-Mülheim meine Bronchien verengen, gehe ich einfach in ein türkisches Männercafé und sage: »Wussten Sie schon, dass die meisten Touristenattraktionen in der Türkei von Griechen erbaut wurden?« – und schon werde ich kostenlos geheilt.
Während ich mich noch an dieser genialen Idee erfreue, merke ich: Mein Kopf liegt auf Vivianes Schoß. Ich schrecke hoch und stoße mir den Schädel am Vordersitz. Dann fragt mich die Stewardess mit wütendem Blick, ob ich denn wahnsinnig sei, kurz nach dem Start bei Turbulenzen das Gepäckfach zu öffnen. Inmeinem noch leicht benommenen Gehirn formen sich mögliche Antworten:
• Herzlich willkommen bei der versteckten Kamera!
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