Macho Man: Roman (German Edition)
eigentlich ein Schleudertrauma auslösen müsste, nur um sie Sekunden später so stark an ihre Brust zu drücken, dass sich das Gesicht aus Luftnot dunkelrot färbt. Wenn sie ihre Tochter jetzt noch auf den Boden schmeißt, würde ich sagen, es ist Wrestling.
Aylin scheint dieses Ritual aber gewohnt zu sein und lässt es mit einem Lächeln über sich ergehen. Mir fällt auf, dass Aylins Mutter genauso schön ist wie ihre Tochter, nur 30 Jahre älter und stärker geschminkt – offenbar hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, die komplette Farbpalette irgendwie in ihrem Gesicht unterzubringen. Ansonsten ist sie sehr elegant gekleidet: schwarze Satin-Hose, silberne Bluse und jede Menge Schmuck. Jetzt fällt ihr Blick auf mich. Sie mustert mich kurz mit skeptischem Blick von oben bis unten, nur um mich dann umso freundlicher anzustrahlen. Dann schickt sie ihrer Tochter einen auffordernden Blick. Und Aylin versteht.
»Anne, das ist Daniel. Daniel, das ist meine Mutter.«
»Hallo, Daniel. Ich freue mich. Vallaha, ich freue mich. Du bist also Daniel, Aylin hat schon erzählt. Du siehst aber nicht aus wie ein Deutscher. Ich weiß, du bist Deutscher, ja, aber Vallaha, du siehst nicht aus wie ein Deutscher. Oder, Aylin?! Er sieht doch nicht aus wie ein Deutscher. Na egal, Vallaha, ich freue mich. Komm rein, du musst sehen unser Wohnung. Vallaha, er sieht nicht aus wie ein Deutscher ...«
Das Praktische daran, dass Aylins Mutter wie ein Wasserfallredet: Ich muss mir keine Gedanken darüber machen, was ich sage. Ich werde direkt ins Wohnzimmer geführt, bei dessen Anblick man das Wort »Kitsch« neu definieren muss. Es sieht so aus, als sei hier jemand um die Welt gereist, nur um den gruseligsten Krempel für dieses eine Zimmer zusammenzutragen. Eine Art grünes Gewölbe für Touristennippes. Es ist unmöglich, sämtliche Einzelheiten dieses Gesamtkunstwerks aufzuzählen, deshalb beschränke ich mich hier auf meine persönlichen Top 10:
• Platz 10: ein goldgerahmtes Atatürkporträt, auf dem der Gründer der Türkei vor dem Hintergrund einer wehenden Türkeifahne sinnierend in die Ferne schaut.
• Platz 9: ein Stoffharlekin mit weißem Porzellangesicht und einer schwarzen Träne, in dessen Kostüm rosa Pailletten und silberne Perlen eingearbeitet wurden.
• Platz 8: ein Plastikstier mit Plastiktorero, der ein buntes Stoffjäckchen mit Pailletten trägt. Im Stier stecken Pfeile, die man als Zahnstocher verwenden kann.
• Platz 7: ein gut 40 cm hoher goldener Eiffelturm, auf dessen Spitze jemand nachträglich eine Türkeifahne angebracht hat.
• Platz 6: eine Schwanenfamilie aus Kristall, bestehend aus den Eltern und fünf Jungen – in der Vitrine so beleuchtet, dass diverse Regenbogeneffekte entstehen.
• Platz 5: zwei weiße Porzellantauben, die auf einem rosa Herz sitzen, in welchem sich das Hochzeitsfoto von Aylins Eltern befindet.
• Platz 4: ein goldgerahmtes Mekkabild mit goldener Uhr und bunten Lämpchen, das zu jeder vollen Stunde eine arabische Melodie spielt.
• Platz 3: eine lebensgroße Babypuppe, die einen weißen Strampelanzug mit rosa Blümchen trägt, auf den jemand »Aylin« gestickt hat.
•Platz 2: ein von hinten beleuchteter Wasserfall mit silbernem Spiegelrahmen, bei dem durch einen Dreheffekt das Wasser zu fließen scheint.
• Platz 1 (tatatataaaaa): ein dreidimensionales Meisterwerk mit bronzenem Rahmen, auf dem vor silbergoldenem Hintergrund eine komplett aus Leder gearbeitete blau-weiße Blütenpracht mit altgoldenen Stängeln prangt.
Ich habe höchstens fünf Sekunden, um dieses erstaunliche Sammelsurium zu bewundern, da hat Aylins Mutter auch schon Tee und Gebäck serviert.
»Daniel, nimm.«
»Danke.«
Ich nehme ein Stück Salzgebäck.
»Nimm noch mehr.«
»Danke.«
Ich nehme noch eins.
»Nimm noch mehr.«
»Danke.«
Ich nehme noch eins. Jetzt schüttet mir Aylins Mutter die halbe Schüssel auf den Teller.
»Danke.«
»Warte!«
Aylins Mutter rennt in die Küche. Währenddessen hat Cem vor dem Fernseher Platz genommen, in dem mit ohrenbetäubender Lautstärke ein türkisches Boulevardmagazin davon berichtet, dass eine anatolische Popsängerin beim Einsteigen in ein Motorboot unfreiwillig den Blick auf ihren Tangaslip freigab. Aylin lächelt mir zu. Ich bin so aufgeregt, ihre Familie kennenzulernen, dass ich ihre Gegenwart gar nicht richtig auskosten kann. Ich würde sie gerne küssen, aber dazu müssten wir alleine sein. Inzwischen hat Aylins Mutter Schafskäse
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