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Macho Man: Roman (German Edition)

Macho Man: Roman (German Edition)

Titel: Macho Man: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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drehe das Radio klammheimlich leiser und atme auf. Leider war der Toilettenbesuch trotzdem vergebens, denn ich schaffe es nicht, Platz in meinem Magen zu schaffen. Ich kehre unverrichteter Dinge zurück ins Wohnzimmer.
    »Iss, Daniel, ist sehr lecker!«
    »Ja, es war wirklich sehr lecker. Danke.«
    »Musst du mehr essen!«
    Höflicherweise schiebe ich mir noch eine Olive und etwas Schafskäse in den Mund. Aylin zwinkert mir zu und schüttelt mit dem Kopf. Im Fernsehen kommt jetzt eine Werbeunterbrechung. Unnötig zu sagen, dass die Werbung noch lauter gesendet wird – die Lautstärke reicht jetzt in etwa aus, um einen 500-Mann-Saal zu beschallen. Unnötig zu sagen, dass Cem nicht leiser stellt. Unnötig zu sagen, dass Aylins Mutter noch lauter brüllt.
    »DANIEL, BLEIBST DU AUCH ZUM ESSEN?«
    »Zum Essen???«
    »JA. ICH HABE GEKOCHT. IST SEHR LECKER! MUSST DU UNBEDINGT ESSEN!!«
    Entsetzt zeige ich auf meinen immer noch zu zwei Dritteln gefüllten Teller und brülle gegen den Fernseher an:
    »UND DAS HIER???«
    »DAS IST NUR KLEINIGKEIT ZUM TEE.«
    Ich lächle höflich und ahne, was auf mich zukommt. In dem Moment erscheint ein Mann im Wohnzimmer, der Cem sehr ähnlich sieht, nur 30 Jahre älter. Ich kombiniere messerscharf: Aylins Vater. Adrenalin strömt aus allen Teilen meines Körpers. Wieder einmal sehe ich mein Leben an mir vorbeiziehen. Diesmal komme ich nur bis zu meinem vierten Lebensjahr und einem denkwürdigen Dialog mit meinem Vater:
    »Papa, was passiert, wenn man tot ist?«
    »Dann vermodert man unter der Erde.«
    Toll, dass ich mich gerade jetzt daran erinnere, wo ich dem Tod eventuell ins Auge blicken muss. Oder vielleicht doch nicht?! Aylins Vater lächelt mich an. In diesem Moment erinnere ich mich, was ich zu sagen habe, beziehungsweise zu brüllen.
    »IYI GÜNLER PEZEVENK!«
    Die Miene von Aylins Vater verfinstert sich. Dafür lachen Aylin und Cem Tränen. Der Vater beschimpft seine Kinder auf Türkisch, dann entspannt sich seine Miene wieder, und er reicht mir die Hand:
    »Vallaha, du siehst nicht aus wie ein Deutscher! Er sieht doch nicht aus wie ein Deutscher?!«
    »Nein, Vallaha, er sieht überhaupt nicht aus wie ein Deutscher.«
    Dann erfahre ich: »Iyi günler pezevenk« heißt »Guten Tag, Zuhälter«. Zuhälter ist in der Türkei ein übles Schimpfwort – hier in Deutschland ja eher das erforderliche Karriereprofil, wenn man bei 9Live moderieren möchte.
    In diesem Moment kommt orientalischer Gesang aus einer Kommode, der sich kurz darauf als Klingelton des Handys von Aylins Mutter herausstellt. Abgesehen davon, dass sie beim Telefonieren den Fernseher überbrüllen muss, gehört sie auch noch zu den Menschen, die denken: Je weiter der Gesprächspartner entfernt ist, desto lauter muss man sprechen. Offenbar ist gerade Verwandtschaft aus der Türkei am Apparat, sodass Aylins Mutter ihre Sprechlautstärke auf mehrere tausend Kilometer einstellt.
    Als kurz darauf auch noch Aylin einen Anruf bekommt und quietschende Freudenschreie in den Äther schickt, schüttelt ihr Vater genervt den Kopf und winkt mich auf den Balkon. Unten wird gerade mit einem Presslufthammer die Straße aufgerissen -was im Vergleich zum Lärm in der Wohnung wie sanftes Bachgeriesel anmutet. Aylins Vater verliert keine Zeit.
    »Bist du katholisch?«
    »Nein.«
    »Evangelisch?«
    »Nein.«
    »Jüdisch?«
    »Nein. Ich bin gar nicht getauft. Mein Vater geht davon aus, dass man nach dem Tod unter der Erde vermodert. Ich dagegen glaube schon, dass es da etwas gibt, da oben, äh, wobei ich jetzt nicht oben sagen würde, das ist vielleicht eher so dazwischen, äh, also ...«
    Ich bin nicht ganz sicher, ob mich Herr Denizoglu jetzt nur extrem skeptisch oder schon verächtlich anschaut. Auf jeden Fall: Wenn das hier gerade eine Prüfung ist – und es fühlt sich definitiv an wie eine –, dann habe ich bei der ersten Frage versagt. Zum Glück kriege ich noch eine zweite Chance:
    »Was denkst du über die Griechen?«
    »Die Griechen? Tja, die Griechen ... Meinen Sie jetzt die alten Griechen oder die von heute?«
    »Alt, neu, groß, klein – Griechen sind Griechen.«
    »Natürlich. Die Griechen. Ja, die Griechen, das ist schon ein Volk, die Griechen ... Was denken Sie denn über die Griechen?«
    »Ich denke, Griechen sind arrogant. Denken immer, sie haben große Kultur. Aber wo ist denn große griechische Kultur?«
    »Naja, also ...«
    »Das sind einfach nur Steine. Da liegt irgendwo kaputte Säule auf der Wiese, und alle sagen:

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