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Macho Man: Roman (German Edition)

Macho Man: Roman (German Edition)

Titel: Macho Man: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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›Guck mal, die Griechen, was hatten sie für eine Kultur!‹ Aber ich sehe da keine Kultur, ich sehe nur kaputte Säule.«
    »Äh, ich denke, man kann schon sagen ...«
    »Alles, was die Griechen gebaut haben, ist kaputt: Ephesus -kaputt. Pergamon – kaputt. Atlantis – nie gesehen. Große Lüge, Atlantis. Im Meer versunken, haha, das kannst du deiner Oma erzählen! Vallaha, die Griechen sind arrogant.« 12
    Herr Denizoglu gestikuliert wild – eine Mischung aus Louis de Funès, HB-Männchen und dem Trainer der türkischen Nationalmannschaft.
    »Und Akropolis, große Attraktion ... Was ist das für ein Blödsinn – Akropolis?«
    »Nun ja ...«
    »Hat die Akropolis ein Dach? Nein. Hat sie ein Klo? Nein. Eine große Scheiße ist die Akropolis.«
    »Ja. Also so gesehen ...«
    »Die Osmanen, die hatten Kultur, und steht alles noch! Geh mal nach Istanbul, da kannst du alles sehen. Die hatten Sauberkeit, besser als heute. Aber die Griechen hatten keine Sauberkeit ... Und 2004, warum sind sie Europameister geworden? Weil, sie haben so scheiße langweilig gespielt, da sind alle Gegner eingeschlafen ... Und Schiedsrichter haben sie auch bestochen! Und was ist mit große Philosophen, hä, was ist damit?«
    Ich habe den Verdacht, dass es sich hier um eine rhetorische Frage handelt, und verzichte auf eine Antwort.
    »Die waren alle Penner, Schwule und Alkoholiker. Sokrates, wer war Sokrates? Ein schwuler Penner war Sokrates.«
    Geschichte war immer eine Frage der Interpretation. Und auch wenn sicherlich nicht jeder Historiker dieser These von Herrn Denizoglu zustimmen würde, so muss man sie auch erst einmal widerlegen. Ich ziehe es jedenfalls vor, auf eine voreilige Entgegnung zu verzichten, um in der Achtung von Aylins Vater nicht noch weiter zu sinken.
    »Also, was denkst du über die Griechen?«
    Die Zeit dehnt sich. Komm, Daniel, ein kleines rassistisches Statement gegen die Griechen, und du bist raus aus der Nummer. Sag einfach: »Ich finde die Griechen auch scheiße«, und er wird dich lieben! Na los – das kann doch nicht so schwer sein!
    Leider doch. Ich kann das einfach nicht. Ich bin in Bezug auf ausländerfeindliche Äußerungen zu extremster Vorsicht erzogen worden. Ich erinnere mich spontan an eine Episode, als ich zehn Jahre alt war. Da hatten wir iranische Nachbarn, denen der Begriff »nächtliche Ruhestörung« definitiv unbekannt war: laute Musik, hitzige Diskussionen, Hämmern, Bohren bis vier Uhr morgensfür Familie Sheibani kein Problem. Nachdem wir mehrere Nächte kein Auge zubekommen hatten, wollte mein Vater sich endlich beschweren – schließlich musste er am nächsten Morgen eine wichtige Vorlesung an der Uni über die sprachlichen Eigenheiten des mittelalterlichen Minnesangs halten.
    Wie beschwert sich ein normaler Mensch? Er geht rüber, klingelt Sturm, kriegt einen Wutanfall und droht mit der Polizei. Nicht so mein Vater. Der macht sich erst einmal im Brockhaus über Sitten und Gebräuche im Iran sachkundig.
    »Papa, warum liest du das jetzt? Ich kann nicht schlafen!«
    »Mein Sohn, das ist nur, damit ich bei meiner Beschwerde nicht einseitig aus der abendländischen Perspektive argumentiere.«
    »Ah.«
    »Wusstest du übrigens, dass die iranische Kunst im 3. bis 7. Jahrhundert eine Blütezeit hatte?«
    »Nein. Ich will schlafen.«
    »Es entstanden Paläste und Feuertempel mit großen Trompenkuppeln und tonnengewölbten Iwanhallen, seit dem 6. Jahrhundert mit reichem Stuckdekor.«
    »Trompenkuppeln?«
    »Genau, Trompenkuppeln.«
    »Was sind denn Trompenkuppeln?«
    »Trompenkuppeln sind Kuppeln, mit... äh, Trompen.«
    Dann holte er eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank.
    »Papa, willst du die Herrn Sheibani jetzt über den Schädel hauen?«
    »Natürlich nicht.«
    »Aber was willst du dann damit?«
    »Nun, es wäre doch unhöflich, ohne Gastgeschenk zu kommen. Schließlich will ich die Familie zum ersten Mal besuchen.«
    »Besuchen? Du willst dich beschweren.«
    »Ich besuche sie in der Absicht, mich zu beschweren. Aber es ist immer noch ein Besuch.«
    In dem Moment kam meine Mutter, von Schlaflosigkeit gezeichnet, aus dem Bett.
    »Bist du sicher, dass sie dich nicht für ausländerfeindlich halten, wenn du dich beschwerst?«
    »Nennen wir es nicht ›beschweren‹. Sagen wir einfach, ich trete in einen multikulturellen Dialog zum Thema ›Lärm‹.«
    »Sehr gut.«
    »Weißt du zufällig, was ›Guten Abend, wir kommen in friedlicher Absicht‹ auf Persisch heißt?«
    Der Rest der Nacht ist

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