Macho Man: Roman (German Edition)
Kaya-Yanar-Sketchen vor. Und zweifellos würde sich der freundliche Türsteher, der auch auf das obligatorische Goldkettchen nicht verzichtet hat, sich hervorragend in den Sat. 1-Fun-Freitag einfügen. Es gibt da nur drei Probleme: Erstens: Er ist echt. Zweitens: Er ist kurz davor, die Zahl meiner Zähne zu reduzieren. Drittens: Er ist vielleicht der Bruder der Frau, die ich liebe. Die Zeit dehnt sich, und für einen kurzen Moment bin ich sogar stolz darauf, einen Türsteher provoziert zu haben. Schließlich zeigt das, dass er mich als Mann ernst nimmt. Dann wird mir klar, dass ich schon wertvolle Zehntelsekunden verschenkt habe, um mich vor einem Kieferbruch zu bewahren. Ich brauche jetzt eine gute Antwort. Und zwar schnell. Gibt es in einem solchen Moment überhaupt eine gute Antwort, oder sollte man sich nicht besser umdrehen und versuchen, den Sprint-Weltrekord zu brechen, um die Flughafentoilette zu erreichen, wo man sich dann für ein paar Stunden einschließen kann? Ich entscheide mich fürs Reden:
»Nein, ich ... ja, also, haha – wow! Tolle Muskeln, äh, also, äh, Respekt.«
Sagte ich Reden? Ich meinte Stammeln. Aber immerhin hat der Türsteher nicht mehr so viel Wut in den Augen. Jetzt ist es Ekel.
»Ey, bist du schwul oder was?«
»Nein. Definitiv nicht. Also, äh, jedenfalls, was meine, äh, sexuelle Ausrichtung betrifft. Wenn du allerdings das Attribut ›schwul‹ als umgangssprachliches Schimpfwort verwendet hast, im Sinne von ›Weichei‹, ›Pissrinnenverfehler‹ oder ›Mückenstich-allergiker‹ – dann, ja, also, äh ... dübndüdüüüü...«
Wenn ich vor jemandem Angst habe, neige ich dazu, zu viel zu reden. Ich habe das Gefühl, das hält ihn davon ab, mich zu verprügeln. Das ist natürlich Quatsch, und spätestens bei der Udo-Lindenberg-Imitation kommt sich der Muskelberg verarscht vor. Als er gerade darüber nachdenkt, ob er mir zuerst die Nase oder den Kiefer brechen soll, werde ich von einer Frauenstimme gerettet.
»Erol!!!«
Eine Kopftuchträgerin um die sechzig mit zeltartigem Mantel kommt gerade aus der Sicherheitszone. Der Türsteher rennt zu ihr.
»Anne!!!«
Anne ist kein türkischer Frauenname. Ich weiß das von einer Schulkollegin. Sie heißt Anne, und als sie in ein türkisches Viertel gezogen ist, hat sie sich monatelang gewundert, warum die Kinder andauernd ihren Namen rufen – bis sie herausfand: »Anne« heißt auf Türkisch »Mutter«.
In diesem Moment fällt mir ein Stein vom Herzen, denn der Türsteher ist nicht Aylins Bruder. Er wirft mir noch einen letzten abschätzigen Blick zu und schiebt dann den Gepäckwagen seiner Mutter nach draußen, auf dem sich mindestens acht Koffer befinden – und das ist keine Ausnahme. Auch ihre Landsleute schleppen massenweise Koffer, Schachteln, Kisten, Tüten und Teppiche durch den Flughafen. Offensichtlich ist bei Türken der Unterschied zwischen Reise und Umzug marginal.
Dann öffnet sich die automatische Tür zur Sicherheitszone – und Aylin steht da: kurzärmeliges weißes Shirt, Jeans, die Sonnenbrille auf den Haaren, das schönste Lächeln der Welt – und mehr als zehn Gepäckstücke. Ich renne zu ihr, wir umarmen uns lange. Dann will ich sie küssen und merke, wie sie meinem Mund ausweicht, sodass ich nur ihre Wange erwische. Ach ja, natürlich, der Bruder! Mittlerweile ist die Schar der Wartenden deutlich kleiner geworden. Ich sehe nur drei Männer um die dreißig, die in Frage kommen: ein dunkelhäutiger Schnauzbartträger mit Bierbauch, der als perfektes Model für Dönerbuden-Werbeplakate herhalten würde; ein Rapper mit umgedrehtem Baseball-Cap und schlabberigem Basketball-Shirt, der einem 50-Cent-Video entsprungen scheint; und ein Schönling mit schwarzem Anzug, weißem Hemd und Kevin-Kurányi-Bart, der offenbar direkt von einem Fotoshooting für die neue Calvin-Klein-Kollektion kommt.
Während ich noch abwäge, wer von den dreien wohl am wenigsten Probleme machen würde, kommt ein unscheinbarer rothaariger Typ mit blauen Augen auf Aylin zu und umarmt sie innig. O nein! Aylin hat einen Freund! Warum hat sie mir das nicht gesagt? Das ist so demütigend.
»Daniel, das ist mein Bruder Cem. Cem – Daniel.«
Der rothaarige Typ mit den blauen Augen reicht mir die Hand. Ich nehme sie fassungslos. Das ist nie im Leben ein Türke.
»Ja, so gucken alle, wenn ich sage, dass er mein Bruder ist. Aber er kommt nach unserem Vater, und der ist vom Schwarzen Meer. Da sehen die Türken anders aus als in
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