Macho Man: Roman (German Edition)
Anatolien.«
Rothaarige Türken. Ungeheuerlich! Ich finde es immer schade, wenn Klischees nicht zutreffen. Klischees haben so etwas Beruhigendes. Man kann sich daran festhalten: Vielleicht gibt es Paralleluniversen, Antimaterie und andere Ungereimtheiten auf dieser Welt – aber wenigstens haben Türken schwarze Haare. Das war schon immer so, und das wird auch immer so sein. Und wenn die Erde irgendwann in ein schwarzes Loch gerät und auf Erbsengröße schrumpft, dann haben die Türken zwar nur noch sehr, sehr kleine Köpfe, aber die Haare sind immer noch schwarz!
Cem und Aylin lachen, als sie sehen, wie sich die Erschütterung meines Weltbildes in meinem Gesicht spiegelt. Cem holt zum Beweis seinen türkischen Pass heraus:
»Hier. Glaubst du mir jetzt?!«
Tatsächlich. Cem Denizoglu. Daneben sein Foto. In einem türkischen Pass. Jetzt muss ich auch lachen:
»Wow, ein rothaariger Türke, das ist toll. Da hast du die Wahl: mach ich 'ne Dönerbude auf oder 'nen Irish Pub?«
Cem lacht. Er wirkt sehr nett, und es scheint für ihn kein Problem zu sein, dass seine Schwester einen deutschen Freund hat. Ich atme erleichtert auf – für zehn Sekunden. Dann sagt Aylin einen folgenschweren Satz:
»Los, wir fahren nach Hause – dann lernt Daniel gleich Mama und Papa kennen.«
»Ja, gut, äh...«
Das war ein franzbeckenbauereskes »Ja gut äh ...«, das mir immer in diplomatisch schwierigen Situationen rausrutscht. Aylin und Cem ignorieren mein Zögern, und fünf Minuten später sitze ich – eingequetscht zwischen Paketen und Tüten – auf dem Beifahrersitz von Cems BMW Cabriolet, das mit 200 km/h in Richtung Innenstadt brettert, und überlege, was mich wohl im Hause der Denizoglus erwartet... Ein wütender Vater, der mich steinigen will, weil ich seine Tochter entehrt habe; eine weinende Mutter, die sich ein Messer in die Brust rammt, weil sie diese Schandenicht ertragen kann – also eine ganz normale orientalische Reaktion.
Sicher, Cem hat positiv auf mich reagiert, aber vielleicht ist er ja nur deshalb so entspannt, weil er weiß, dass sein Vater mich sowieso umbringt.
»Daniel, wenn du unseren Vater kennenlernst, sag zu ihm ›Iyi günler pezevenk‹. Das heißt auf Türkisch ›Ich begrüße den Herrn des Hauses‹.«
»Haha, nein, den Trick kenn ich aus My big fat greek wedding. Das heißt dann ›Ich hab nur ein Ei‹ oder ›Auf meiner Vorhaut ist ein Muttermal in der Form von Zypern‹ oder so was.«
Jetzt mischt Aylin sich ein:
»Nein, Cem hat recht. Das heißt: ›Ich begrüße den Herrn des Hauses.‹«
»Na gut. Also, wie heißt das?«
»Iyi günler pezevenk.«
»Iyi günler pezevenk, iyi günler pezevenk, iyi günler pezevenk ...«
Während ich wie ein Mantra die türkische Begrüßungsformel vor mich hin murmle, überquert der BMW die Innere Kanalstraße, die die Grenze zu Köln-Ehrenfeld markiert. Wir fahren vorbei an einer Reihe türkischer Geschäfte: Dönerbuden, Supermärkte, Reisebüros – als Türke in Köln muss man definitiv nicht Deutsch können, um zu überleben. Demnächst soll in Ehrenfeld sogar eine Großmoschee gebaut werden. Bis vor Kurzem hat man sich im Kölner Rat noch um die Höhe der Minarette gestritten. Die einen wollten nicht, dass der Islam sich allzu deutlich im Kölner Stadtbild abzeichnet, die anderen dachten: Je höher, desto besser lenkt es vom Barbarossaplatz ab.
Wenig später stehe ich in der zweiten Etage eines Altbauhauses vor einer Wohnungstür, auf der ein Emaille-Schild mit dem Namen »Denizoglu« hängt; der Kringel über dem g wurde mit Edding dazugemalt – offenbar hatte der Schildermacher keine türkischen Buchstaben. Über dem Guckloch das blaue Auge aus Glas, das alle Türken haben, um den »bösen Blick« abzuwenden.
Die Tür öffnet sich, und eine etwa 60-jährige Frau mit schwarzen Haaren verfällt bei Aylins Anblick in einen Zustand ekstatischer Freude. Klar, wenn Kellner schon das Erscheinen von Stammgästen frenetisch bejubeln – da darf sich eine Mutter beim Wiedersehen mit ihrer Tochter natürlich nicht lumpen lassen. Ich verstehe nicht, was sie sagt, aber es ist eine Mischung aus der Geschwindigkeit von Dieter Thomas Heck, dem Pathos von Johannes Rau und der Freude von Herbert Zimmermann 1954 beim 3:2 gegen Ungarn.
Aber das reicht noch nicht – Aylins Mutter muss ihrer Freude auch physisch Ausdruck verleihen: Sie kneift ihre Tochter mehrfach in beide Wangen, packt sie dann an den Schultern und schüttelt sie so stark, dass es
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