Macho Man: Roman (German Edition)
gebracht.
»Daniel, nimm.«
»Danke.«
Ich schneide mir ein Stück Schafskäse ab und packe es auf das kleine Stückchen meines Tellers, das nicht mit Salzgebäck gefülltist. Ich habe schon gelernt, dass es offenbar die Gastgeber beleidigt, wenn man sich zu wenig nimmt, deshalb habe ich ein ziemlich großes Stück abgeschnitten. Sekunden später schneidet mir Aylins Mutter ein Stück in der vierfachen Größe ab und platziert es auf meinem Salzgebäck.
»Danke.«
Aylins Mutter verschwindet kurz in der Küche und kommt mit einer Schale Oliven zurück. Diesmal verzichtet sie darauf, mich selbst nehmen zu lassen, und schafft es, gefühlte 300 Oliven auf meinen Teller zu schütten, ohne dass eine einzige runterrollt.
»Danke.«
»Bitte. Musst du essen. Ist sehr lecker ... Vallaha, er sieht nicht aus wie ein Deutscher.«
Während ich den Schafskäse genieße, wechselt Aylins Mutter ins Türkische. Eine lebhafte Diskussion entwickelt sich, die ich leider nur als Abfolge von Tönen erlebe – und zwar von sehr lauten Tönen, denn der Fernseher dröhnt so, dass sich Aylin und ihre Mutter anbrüllen müssen, um sich zu verstehen. Das hat allerdings nicht den Effekt, dass Cem den Fernseher leiser stellt – im Gegenteil. Von der Diskussion gestört, stellt er den Fernseher noch lauter, was wiederum dazu führt, dass Aylin und ihre Mutter noch mehr brüllen müssen – ein Teufelskreis.
Die Beteiligten nehmen das allerdings gar nicht wahr. Aylin führt offenbar ein Mutter/Tochter-Gespräch. Ich sitze daneben und habe keine Ahnung, worum es geht. In Spielfilmen kommen an solchen Stellen immer Untertitel. Warum gibt es im wirklichen Leben keine Untertitel?! Wenn Gott die Erde, den Menschen und halluzigene Pilze erschaffen konnte, dann dürften Untertitel doch nicht so schwer sein. Selbst ARTE kann das.
Im Fernsehen läuft inzwischen zum zehnten Mal in Zeitlupe, wie die türkische Pop-Diva das Motorboot besteigt. Jetzt wurde auch noch rangezoomt, sodass man bildfüllend die Aufnahme des Tanga-Slips bewundern kann, und zwar so unscharf und rasterhaft, dass es sich genauso gut um eine Aufnahme der Marsoberfläche handeln könnte.
Das Mutter/Tochter-Gespräch wird immer lebhafter. Zwischendurch fällt ab und zu mein Name. Ich tue so, als ob ich mitden Oliven beschäftigt wäre, dabei rotieren in meinem Kopf verschiedene Versionen, wie das Gespräch wohl inhaltlich verläuft.
Version 1: die Klischeeversion. »Hast du ihn geküsst?«
»Ja.«
»Dann musst du ihn auch heiraten. Er soll morgen schon mal Moslem werden und sich beschneiden lassen; du besorgst dir in der Zeit ein Kopftuch – und vergiss nicht, zehn Meter hinter ihm zu gehen. Aber sag ihm, er soll sich einen Schnäuzer wachsen lassen, sonst kann er nicht in unserer Dönerbude arbeiten.«
Version 2: die Wunschtraumversion: »Hast du ihn geküsst?«
»Ja.«
»Herzlichen Glückwunsch, Aylin. Er ist ein absoluter Traummann! Ich habe mir immer einen deutschen Schwiegersohn gewünscht. Und dass er kein Moslem ist, ist mir völlig egal. Weißt du was? Ich bin so froh, ich schenke euch beiden unsere luxuriöse Strandvilla direkt am Mittelmeer mit Pool und Palmengarten!«
Version 3: die Albtraumversion: »Hast du ihn geküsst?«
»Ja.«
»Sag mal, schämst du dich nicht, deine Zunge in so einen Vollidioten zu stecken?! Und dann auch noch ein Deutscher! So, wir gehen jetzt auf der Stelle in die Küche und beschneiden ihn mit dem Brotmesser. Obwohl – lohnt sich gar nicht, Papa bringt ihn sowieso um.«
Vielleicht reden sie auch über die Entwicklung der Korbflechterei unter Sultan Mehmet, keine Ahnung. Mein Schädel raucht.
Im türkischen Fernsehen diskutiert inzwischen eine Expertenrunde über das Tangaslipvideo, welches zwischendurch zur Untermauerung der einzelnen Thesen zum 327. Mal wiederholt wird. Gegen diese Sendung fühlt sich ein Beitrag bei RTL Explosiv an wie eine Doktorarbeit... Als ich aufs Klo muss, stelle ich fest: Diesist der einzige Ort, an dem man nicht von dieser Sendung verfolgt wird, denn ansonsten gibt es in exakt jedem Zimmer einen Fernseher, und sie laufen alle. Nicht dass das Klo ein Ort des Rückzugs und der Besinnung wäre, schließlich gibt es ja auch Radios – und da hat sich Familie Denizoglu etwas Besonderes einfallen lassen: Was passiert wohl, wenn man alle Bässe herausnimmt und dann auf volle Lautstärke dreht? Die Antwort ist schnell gegeben: Man kriegt Ohrenschmerzen und das Gefühl, verrückt zu werden. Ich
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