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Macho Man: Roman (German Edition)

Macho Man: Roman (German Edition)

Titel: Macho Man: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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die ganze Zeit so dramatisch, als ginge es um Leben oder Tod.«
    »Tja, danach war mein Vater dran, der hat mir erzählt, dass in der Weidengasse die Knoblauchwurst teurer geworden ist, dann hat meine Cousine Aynur angeklopft, die hatte Streit mit Tante Emine, weil sie bei ihrem Türkei-Urlaub Onkel Mustafa nicht wie versprochen einen deutschen Nasenhaarschneider mitgebracht hat, dabei schwört Aynur, dass sie gar nichts versprochen hat. Dann war wieder meine Mutter dran, die vergessen hatte, ob die gelbe Bluse, die sie zu Hause hat, rote oder orange Streifen hat.«
    »Klingt aber nicht so dramatisch.«
    »Doch! Denn wenn die gelbe Bluse orange Streifen hätte, würde sie nicht zu dem roten Rock passen, den meine Mutter gerade bei H&M gekauft hatte.«
    »Aber sie kann doch zu Hause nachgucken – warum ruft sie dich deshalb an?«
    »Sie wollte nicht so lange mit der Ungewissheit leben.«
    »Nee, ist klar.«
    »Und dann hat noch Tante Emine angerufen ...«
    »Ah, die, die Streit mit deiner Cousine hat.«
    »Nein, das ist die andere Tante Emine. Auf jeden Fall wollte Emine wissen, ob ich ein weißes Tischdeckchen brauche, weil sie gerade etwas häkeln will, aber da hat Cem angerufen.«
    »Ah, dein Bruder.«
    »Nein, mein Cousin. Der heißt auch Cem. Und der wollte mir nur mitteilen, dass sich Aynur und Emine inzwischen versöhnt haben, weil sich Emine plötzlich erinnert hat, dass nicht Aynur, sondern Özlem den Nasenhaarschneider besorgen wollte; danach hat noch mal Aynur angerufen, um mir dasselbe zu sagen. Dann war noch mal meine Mutter dran, die bei Strauß T-Shirts entdeckt hat, die von 15 auf 8 Euro runtergesetzt sind, dann war wieder mein Vater dran, um mir zu sagen, dass die Knoblauchwurst nicht nur in der Weidengasse, sondern überall teurer geworden ist, und schließlich kam der Anruf von Özlem, die inzwischen die bitteren Vorwürfe von Emine gehört hatte, weil sie keinen Nasenhaarschneider besorgt hat; allerdings hatte sich Emine schon wieder vertan, denn sie hat die falsche Özlem angerufen – Özlems Tochter heißt nämlich auch Özlem.«
    Wow. Das waren höchstens 50 Euro Gesprächskosten, und dafür hat Aylin wahrlich wichtige Informationen erhalten. Einfach faszinierend, welche Lebensqualität uns die moderne Kommunikationstechnik ermöglicht.
    Aber auch faszinierend, dass der Türke an sich offenbar recht sparsam mit Vornamen umgeht. Unter Aylins Tanten und Cousinen gibt es allein drei Ayses und fünf (!) Emines. Das führt dann wahrscheinlich zu Dialogen wie:
    »Du, gestern ist Emine gestorben.«
    »O nein. Allah Allah, das ist ja so traurig ... Äh, welche Emine?«
    »Ayses Mutter.«
    »Ayses Mutter Emine? Oder meinst du Emines Mutter Ayse?«
    »Nein. Ayses Mutter Emine.«
    »Aber meinst du die dicke oder die dünne Ayse?«
    »Die dicke.«
    »Die mit Mustafa verheiratet ist?«
    »Welcher Mustafa?«
    »Der Sohn von Mehmet.«
    »Welcher Mehmet?«
    »Emines Bruder.«
    »Die Emine mit dem dicken Popo?«
    »Nein, die mit dem Hautausschlag, die Tochter von Ali und Ayse.«
    »Ach so.«
    »Und wer ist jetzt tot?«
    »Auf jeden Fall nicht die Angeheiratete-Tante-von-Ayses-Mann-Emine, also die mit dem Hautausschlag, und auch nicht die Schwester-vom-alkoholkranken-Mustafas-Sohn-Ali-Emine mit dem dicken Popo, sondern die Ayses-Mutter-Emine.«
    »Moment. Ich bin Ayses Mutter Emine. Und ich lebe.«
    »Oh, dann war es doch Emines Mutter Ayse.«
    »Welche Emine?«
    »Egal. Auf jeden Fall ist sie tot.«
     
    Wie auch immer – ich habe verstanden, dass türkische Familien-Handy-Telefonate sich zwar dramatisch anhören, aber in Wirklichkeit ganz harmlos sind. Aylin fragt, ob ich einen Bagel essen will, aber der bloße Gedanke an Essen löst Übelkeit in mir aus. Doch Aylin zeigt kein Mitleid mit meinem verkorksten Magen. Im Gegenteil:
    »Kein Wunder, dass dir schlecht ist – so wie du zugelangt hast.«
    »Ich wollte nur höflich sein.«
    »Höflich? Das war nicht höflich.«
    »Was? Ich habe mir Unmengen reingestopft.«
    »Das ist nicht höflich, das ist verfressen.«
    »Aber wenn man aufisst, dann zeigt man doch, dass es geschmeckt hat.«
    »Nicht bei uns. Wenn man den Teller leer isst, dann heißt das: Es war nicht genug. Ich bin noch nicht satt. Deshalb hat meine Mutter dir immer wieder nachgegeben. Wenn sie das nicht macht, ist sie eine schlechte Gastgeberin.«
    »O nein! Und was denkt sie jetzt von mir?«
    »Dass du unverschämt bist.«
    Na toll. Ich habe mich aus Höflichkeit fast umgebracht, und das

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