Macho Man: Roman (German Edition)
Christoph Daum an einem Flipchart, der seiner Mannschaft ein neues Spielsystem erläutert (4-4-2 mit Doppel-6)
• Ich als osmanischer Krieger, der auf einem Pferd durch Anatolien reitet.
• Aylin in den Klamotten von Lysa, die sich weigert, mir Kaffee zu bringen.
• Aylin und ich beim Sex ... Hey, die Vision ist in Ordnung!
• Aylin und ich beim Sex, aber Aylins Handy klingelt und sie redet mit ihrer Mutter über Reißverschlüsse.
Jetzt schnappt sich Tante Emine die Tasse und dreht sie um. Ein Raunen geht durch die Familie. Ich öffne meine Augen, und der Strom bescheuerter Gedanken reißt endlich ab. Ich bin im Hier und Jetzt. Aber da will ich gar nicht sein. Tante Emine starrt mit skeptischer Miene in die Tasse und brummelt unverständliche Laute vor sich hin. Die Spannung ist kaum noch auszuhalten – schlimmer als das Elfmeterschießen 2006 im Viertelfinale gegen Argentinien. Warum sagt sie denn nichts, verdammt? Schon wieder zieht mein Leben an mir vorbei, diesmal rast es bis zu einem denkwürdigen Moment im Jahre 1983. Ich bin acht Jahre alt, in unserem Aquarium ist gerade mein Lieblingsfisch gestorben, ich heule Rotz und Wasser, und mein Vater tröstet mich mit den Worten: »Mein Sohn, das Wichtigste im Leben ist, dass man die Dinge rational betrachtet.« Ein toller Ratschlag. Und jetzt, über zwanzig Jahre später, versuche ich, diesen Rat zu befolgen. Rational betrachtet bin ich nervlich am Ende. Sag doch endlich was, Tante Emine, biiiitteeeeee! Aber nein, sie grummelt weiter vor sich hin, offenbar ein Tick von ihr, oder eine Geheimsprache zwischen ihr und dem Kaffeesatz, keine Ahnung. Türkisch ist es jedenfalls nicht, und Deutsch schon gar nicht. Warum muss ich gerade jetzt an willkürliche Justiz-Urteile denken? Komm, Daniel, beruhige dich. Was ist das Schlimmste, was passieren kann? Aylin macht Schluss und du bist für den Rest deines Lebens unglücklich – wäre das denn sooo schlimm? Ja, verdammt, das wäre schlimm! Endlich hört Emine auf zu grummeln. Es scheintloszugehen. Alle schauen sie gebannt an. Niemand wagt zu kauen, zu schlucken oder zu atmen. Emine räuspert sich.
»Guck hier.«
Emine zeigt etwas in der Tasse. Ein Raunen geht durch die Familie. Ich gucke auch, aber ich sehe nichts als gottverdammten Kaffeesatz.
»Hier ist Linie. Von da bis da. Ist fast gerade und geht lange.«
Na toll. Eine gerade lange Linie. Und was heißt das? Langes Leben? Langes Leiden? Langer Penis?
»Ist gute Zeichen. Beziehung wird halten lange. Wird sehr glücklich sein. Kommt Hochzeit und zwei Kinder.«
Ein kurzer Moment der Stille, dann bricht tosender Jubel aus. Wer nach dem Sieg der Türken gegen Kroatien bei der EM 2008 auf dem Kölner Ring gewesen ist, der weiß, wie es aussieht, wenn Türken sich freuen. Der Osmane an sich bringt seine Freude gerne körperlich zum Ausdruck, da kann es schon mal zu Quetschungen und Atemnot kommen, egal, die Emotionen müssen einfach raus. Offenbar hat nur eine kleine Minderheit der Türken von meinem Vater erfahren, dass man die Dinge rational betrachten muss. Während die osmanische Frau ihre Freude vor allem durch lautes Kreischen, Schütteln und Drücken äußert, pressen die Männer akustisch nur kurze Stoßlaute hervor, etwa so wie Gewichtheber, und schlagen einem dafür mit aller Kraft auf die Schulter.
Ich bin etwa zwei Minuten mit purem Überlebenskampf beschäftigt; erst dann fasse ich, dass ich gerade unglaubliches Glück gehabt habe. Ich möchte Aylin küssen, aber gerade läuft mein Gesicht rot an, weil die andere Emine mich mit aller Kraft an sich drückt, während Aylins Bruder Cem mir die rechte Schulter wund schlägt und eine Cousine dabei ist, mir den linken Arm auszukugeln.
Als sich die Freude ein wenig gelegt hat, komme ich endlich dazu, Aylin zu umarmen. Meinen Versuch, sie auf den Mund zu küssen, lenkt sie elegant auf die Wange ab. Aylins Mutter legt ihren Arm um mich und drückt mich an sich.
»Guckt mal, er sieht nicht aus wie ein Deutscher!«
»Nein, Vallaha, er sieht überhaupt nicht aus wie ein Deutscher.«
»Vallaha, ich schwöre, ein Deutscher sieht ganz anders aus!«
Während auch der Rest der Familie bestätigt, dass ich nicht wie ein Deutscher aussehe, schaut mir Aylins Mutter tief in die Augen.
»Also sag mal, Daniel, wann ist die Hochzeit?«
Ich lache zunächst, weil ich denke, dass es sich um einen Scherz handelt. Aber die Miene von Frau Denizoglu lässt keinen Zweifel, dass ich mich mal wieder getäuscht habe. Jetzt
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