Macho Man: Roman (German Edition)
meine eigenen Handlungen mit der Stimme von Gerd Rubenbauer. Ein kleiner Tick von mir, kümmern Sie sich nicht drum.«
Wenn ich schon beim Beichten bin: Sollte ich jetzt auch erwähnen, dass ich im Geiste gelegentlich Pressekonferenzen als Christoph Daum gebe, auf dem Klo?! Nein, ich glaube, das sollte ich nicht erwähnen. Es reicht ja, dass sie mich für leicht gestört halten. Aber ich habe Glück: Herr Denizoglu muss lachen.
»Das stimmt, das war die Stimme von Gerd Rubenbauer, der ist Sportreporter, den kenne ich.«
Jetzt lachen auch die anderen höflich mit. Aylins Mutter schaut mich aber immer noch ein wenig irritiert an. Dabei schiebe ich mir gerade mit großer Anstrengung den letzten Bissen in den Mund. Geschafft. Ich glaube, ich habe noch nie so viel gegessen. Immerhin ist mein sexuelles Begehren weg – an Geschlechtsverkehr kann ich frühestens nach sechs bis acht Stunden intensiver Verdauung wieder denken. Frau Denizoglu lächelt mich freundlich an.
»Noch ein paar Fleischspieße?«
»Nein, danke.«
»Nur drei oder vier. Guck mal, ist noch so viel da!«
»Nein. Wirklich nicht. Danke.«
»Nur ganz bisschen?«
»Nein.«
»Hier, ein paar Frikadellen? Sind sehr lecker! Vallaha, ich bin unheimlich traurig, wenn ich wegschmeißen muss!«
Ich fühle mich auf fatale Weise an meine Diskussion mit der Rosenverkäuferin erinnert. Aber ich kann doch nicht Aylins Mutter mit hässlichen Grunzlauten abwehren. Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, einem älteren Familienmitglied »Nein« zu sagen, oder ist das hier einfach die Fortsetzung der Militärherrschaft im Privaten? Obwohl ich noch weitere dreimal »Nein« sage, schaufelt mir Aylins Mutter jetzt den unter Schmerzen leer gegessenenTeller wieder komplett voll. Mein Werk ist zerstört, ich möchte heulen. Ich hätte gerne das Gesicht von Reinhold Messner gesehen, wenn ihm kurz vor dem Gipfel des Mount Everest ein zweiter Mount Everest obendrauf geschüttet worden wäre ... Wenn ich diese Portion auch noch esse, begebe ich mich definitiv in Lebensgefahr. Ist es das wert, sich aus Höflichkeit umzubringen? Ich bin 33 und mit der wunderbarsten Frau zusammen, die ich je getroffen habe. Soll ich das alles aufs Spiel setzen für einen Teller Fleischspieße? Ja.
Ich schaufle also weiter Essen in mich hinein, die Schmerzgrenze ist längst überschritten. Ich konzentriere mich einfach immer auf den nächsten Bissen – selbst Gerd Rubenbauer ist längst verstummt. Es gibt nur noch mich und das Lammfilet. Meine Atmung ist flach, die Gefühle abgeschaltet, mein Gehirn auf blankes Überleben programmiert. Minuten später starre ich mit glasigem Blick auf einen leeren Teller. Eine übermenschliche Leistung liegt hinter mir – so schmerzhaft, dass meine Psyche die quälenden Details verdrängt haben muss.
Da sehe ich in Zeitlupe die Hand von Aylins Mutter nach meinem Teller greifen. In Schockstarre beobachte ich, wie sich mein Teller aufs Neue füllt und mir vor die Nase gestellt wird. Während ich ein Stück Blätterteig in den Mund schiebe und feststelle, dass ich zu müde zum Kauen bin, registriere ich gleichzeitig, wie die zuvor in Trance heruntergewürgten Fleischstücke im Magen um Einlass begehren und offensichtlich vom Türsteher abgewiesen werden: »Ihr kommt hier nicht rein, es ist voll, haut ab.«
Dies hat zur Folge, dass sich meine Speiseröhre dank einer Warteschlange von wütenden Lammfiletstücken weitet und auf die Luftröhre drückt. Ich atme wie eine englische Bulldogge, die nach dem Verzehr von zehn Dosen Chappi zum Joggen mitgenommen wird. Ich habe nur noch einen Gedanken: »Daniel, kotz jetzt bitte nicht auf den Tisch!«
Mit einer letzten verzweifelten Anstrengung erhebe ich mich und wanke zum Klo. Natürlich hat inzwischen jemand das Radio wieder auf volle Lautstärke gestellt – was zwar einerseits meine Stöhngeräusche übertönt, aber andererseits dazu führt, dass ich fiebrige Schweißausbrüche bekomme und sich alles um michdreht. Ich habe zehn Kilo frische Nahrung in meinem Körper, und davon müssen jetzt schnell mindestens fünf wieder raus. Aber nichts passiert. Ich sitze schweißnass auf dem Klo und zwinge mich durch extreme Konzentration, nicht ohnmächtig zu werden. Nach etwa fünf Minuten gibt mein Dickdarm dem Gnadengesuch statt und schafft gerade mal so viel Platz, dass der Druck auf die Luftröhre von »lebensbedrohlich« auf »sehr, sehr unangenehm« sinkt. Endlich habe ich die Kraft, das Radio leiser zu stellen. Ich wische
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