Macho Man: Roman (German Edition)
mir den Schweiß aus dem Gesicht und trainiere vor dem Spiegel, nicht ganz so gequält zu gucken. Dann gehe ich zurück ins Wohnzimmer. Gott sei Dank, der Tisch ist abgeräumt. Ich hatte ein Nahtoderlebnis, aber ich habe überlebt. Ein Sieg der puren Willenskraft! Wenn das nicht echt männlich war, dann weiß ich's auch nicht mehr!
Da kommt Frau Denizoglu mit einem gigantischen Tablett aus der Küche, auf dem sich fast einen Meter hoch Gebäck auftürmt.
»Das ist Baklava, Daniel. Ist türkische Spezialität. Musst du unbedingt essen!!!«
[ Menü ]
14
Ich kann mich nur noch schemenhaft daran erinnern, wie ich mich verabschiedet und in ein Taxi geschleppt habe. An Schlaf war bis fünf Uhr morgens nicht zu denken. Ich musste mir den Vormittag freinehmen, und selbst jetzt, um halb zwei, sitze ich in unserem Büro bei der Creative Brains Unit und bin noch zu 95 Prozent mit Verdauung beschäftigt. Die restlichen 5 Prozent versuchen, geniale Ideen zu produzieren. Ironie des Schicksals: Gerade jetzt, wo Koffein das Einzige ist, das mir helfen kann, soll ich mir Werbung für koffeinfreien Kaffee ausdenken. Mir gegenüber sitzt Lysa und hämmert irgendwas in ihre Tastatur.
»Holst du mir noch 'nen Kaffee, Lysa?«
»Bin ich jetzt deine Sekretärin oder was?!«
Stimmt. Ich habe ja wieder den Kulturkreis gewechselt. Hier bei den Abendländlern ist Selbstbedienung. Eigentlich schade. Es fühlt sich an, als wäre ich am Abend zuvor in einem Fünf-Sterne-Hotel gewesen und säße jetzt bei McDonald's.
»Komm, Lysa, du kannst mir doch einmal 'nen Kaffee holen. Oder meinst du, dann sind 30 Jahre Emanzipation im Arsch?«
Lysa schaut mich irritiert an.
»Ich glaub, es hackt. Wieso fragst du nicht Ulli?«
»Weil, äh ... Okay. Ulli, holst du mir noch 'nen Kaffee?«
Ulli steht auf und holt mir einen Kaffee. Aha. Man kann sich also auch in Deutschland bedienen lassen. Man muss nur den Richtigen finden. Denn hier im aufgeklärten Westeuropa kann sich jeder unabhängig vom Geschlecht individuell entscheiden, sich ausbeuten zu lassen. Toll.
Ich trinke den Kaffee und habe trotzdem keine Ideen. Ichgoogle »koffeinfreier Kaffee« und habe 15 900 Treffer. Als Erstes erfahre ich bei Welt online, dass koffeinfreier Kaffee für das Herz schädlicher ist als koffeinhaltiger, weil er den Spiegel bestimmter Blutfette noch mehr erhöht. Diese interessante Information bringt mich auf eine erste Idee, die ich hastig in die Tasten haue:
Die Kamera zeigt ein idyllisches Einfamilienhaus. Dazu hören wir auf die Melitta-Melodie:
Es liegt was in der Luft,
ein ganz besond’rer Duft –
o ja, es riecht nach Gruft!
In dem Moment schwenkt die Kamera auf die Terrasse, wo eine halb verweste Leiche mit Kaffeetasse in der Hand liegt. Dazu hören wir eine kernige Männerstimme:
Koffeinfreier Kaffee –
wirkt schnell und zuverlässig.
Ich lache mich 20 Sekunden lang über meine eigene Idee kaputt, dann denke ich kurz nach und lösche alles wieder. 99 Prozent der Ideen, die ich habe, machen das Produkt lächerlich, anstatt es zu bewerben. Immer wieder beschleicht mich das Gefühl, in der falschen Branche zu arbeiten. Aber beim Blick auf meine Kontoauszüge verschwindet dieses Gefühl dann meistens wieder.
Ich reiße mich zusammen und klicke auf den nächsten Google-Link zum Thema »koffeinfreier Kaffee«. Es ist eine Frage im Gesundheitsforum von www.pfiffige-senioren.de. Die nierengeschädigte Oma Fine möchte wissen, ob koffeinfreier Kaffee dem Körper Flüssigkeit entzieht. Aha. Hier scheine ich bei der Kernzielgruppe von koffeinfreiem Kaffee angekommen zu sein. Ich überlege kurz, ob ich mich einloggen und Oma Fine antworten soll, dass sie sich keine Gedanken um ihre Nieren machen muss, solange sie ihr Herz derart mit Cholesterin vollpumpt, surfe dann aber zum nächsten Google-Treffer: www.medizinauskunft.de. Hier wird berichtet, dass koffeinfreier Kaffee das Zuckerkrankheitsrisiko verringert. Toll. Das heißt, Oma Fine darf so vielZucker in ihre Plörre kippen, wie sie will – der Herzinfarkt wird nicht von störenden Diabetessymptomen verschleiert.
Danach lande ich bei der Shopping-Community »Ciao«, wo die Kundin »Spätzle 28« allen Ernstes eine dreiseitige Rezension über eine einzige Sorte koffeinfreien Kaffee verfasst hat, in sage und schreibe sechs Unterpunkte gegliedert: »Vorbemerkung«, »Verpackung«, »Aroma«, »Geschmack«, »Magenfreundlichkeit« und »Schlussbemerkung«. Unfassbar, womit manche Menschen ihre Zeit
Weitere Kostenlose Bücher