Macho Man: Roman (German Edition)
damit locker eine Antarktisdurchquerung durchstehen würde.
Außer Aylin ist nur ihr Bruder zu Hause – ihre Eltern kaufen gerade auf dem Nippeser Markt bei ihren Landsleuten multikulturelle Lebensmittel ein. Cem legt mir den Arm um die Schulter.
»Daniel, du hast Glück, dass Aylin so einen netten Bruder hat. Weißt du, das ist überhaupt nicht normal, dass ein Türke seine Schwester einfach so mit einem Deutschen wegfahren lässt.«
Aylin muss lachen.
»Jetzt spiel dich hier nicht als den großen Gönner auf. Du weißt, was passiert ist, als ich damals mit Orhan ins Kino wollte.«
Ich bin irritiert. Cem sieht meinen verwirrten Blick.
»Orhan war Aylins erster Freund. Sie war gerade 18. Orhankam und wollte Aylin zum Kino abholen. Ich hab ihm gesagt: ›Du willst mit meiner Schwester ins Kino? Kommt ja gar nicht in Frage. Ihr zwei wartet hier, bis Mama zurückkommt, und dann fragt ihr um Erlaubnis.‹«
»Und dann?«
»Aylin hat gesagt, sie will das mit mir unter vier Augen besprechen. Dann sind wir in ihr Zimmer, und Aylin musste kurz aufs Klo ...«
»Haha, zwei Stunden war er in meinem Zimmer eingeschlossen, bis Mama kam und ihn befreit hat ... Er hat sich fast in die Hose gepinkelt.«
Cem schaut mich mit leidendem Blick an.
»Jetzt sag mal, Daniel, was soll ich tun? Diese Frau macht mich krank. Wie soll ich mich als richtiger Mann fühlen, wenn ich nicht mal meine Schwester im Griff habe?«
Kurz darauf verstauen wir die Kühltaschen in meinem Ford Ka, dessen Fassungsvermögen damit bis aufs Äußerste ausgereizt ist. Cem kann sich ein Grinsen nicht verkneifen:
»Wow, Daniel, das ist ja ein richtiger Angeberschlitten.«
»Och, der ist eigentlich sehr praktisch – wenn die Tasche nicht ins Auto passt, kann man das Auto in die Tasche tun.«
Cem schüttet uns zum Abschied Wasser hinterher, und schon wenig später düsen wir auf der A1 in Richtung Dortmund. Aylin will wissen, wo es hingeht, aber ich will die Überraschung nicht verraten. Ich denke zurück an meinen magischen Moment auf der Hamburger Hallig. Auf einen Schlag war meine Depression verflogen, und ich empfand mich als Teil eines großartigen Ganzen. In den Wochen nach diesem Erlebnis habe ich auf meinem InterRail-Trip noch exakt dreimal versucht, dieses Gefühl wieder zu erleben:
• In der Provence habe ich mich nach einer Weinprobe in einem kleinen Dorf unweit von Aix-en-Provence auf eine blaue Holzbank an einem kleinen romantischen Wanderweg gesetzt. Angeregt von einem phantastischen Blick auf Weinberge, Lavendelfelder und Mandelbäume versuchteich, noch einmal wie auf der Hamburger Hallig eins mit der Natur zu werden. Der Fehler war, dass ich vor der Weinprobe schon zwei andere Weinproben gemacht hatte, was sich in Kombination mit der Mittagssonne als ungünstig erwies. So war am Ende das Einzige, das eins mit der Natur wurde, der Inhalt meines Magens.
• Am Vierwaldstättersee in der Schweiz habe ich mich ans Ufer gesetzt und das gigantische Panorama aus See und Bergen auf mich wirken lassen. Dummerweise war am Abend zuvor Deutschland im EM-Halbfinale gegen Holland rausgeflogen, und anstatt die Würde des Ortes einzuatmen, ärgerte ich mich die ganze Zeit darüber, dass Beckenbauer Pierre Littbarski erst in der 84. Minute eingewechselt hatte.
• In Paris habe ich mich auf eine Treppenstufe vor Sacré-Cœur gesetzt; vor mir ein atemberaubender Ausblick auf die Stadt der Liebe, hinter mir eine der schönsten Kathedralen der Welt – in dieser Traumkulisse versuchte ich eine halbe Stunde lang angestrengt, Erhabenheit zu empfinden. Nun ist das Empfinden von Erhabenheit allerdings schwierig, wenn sich fünf Meter entfernt ein Gitarrenspieler hinsetzt und mit schwäbischem Akzent Country Roads singt, während einem gleichzeitig ein Araber eine Lederpeitsche verkaufen will. Am selben Abend hatte ich das schon erwähnte Erlebnis mit der transsexuellen Prostituierten. Danach habe ich das mit der Erhabenheit bis heute drangegeben.
Magische Momente kann man eben nicht erzwingen. Aber mit Aylin ist ohnehin jeder Moment magisch. Vor allem jetzt, wo sie nach Gesprächen mit zwei Emines, einer Ayse, einem Mustafa sowie natürlich Mama, Papa und Bruder schon zum zweiten Mal für mich ihr Handy ausgeschaltet hat. Wir sind mittlerweile hinter Osnabrück beim Rasthof »Dammer Berge« angekommen und machen Pinkelpause. In meinem Magen herrscht Kirmes -schließlich habe ich noch nie einen Heiratsantrag gemacht, und in wenigen Stunden ist es so
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