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Macho Man: Roman (German Edition)

Macho Man: Roman (German Edition)

Titel: Macho Man: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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weit. Werde ich's vermasseln? Wird Aylin »Ja« sagen?
    Unbewusst will ich wohl Zeit schinden, denn ich schlage Aylinvor, zu einer kurzen Rast einzukehren, um die 50-Cent-Wertbons einzulösen, die wir in der Toilette bekommen haben. Das ist clever gemacht: Man hat das Gefühl, sein Geld wiederzubekommen, dabei gibt man in Wahrheit noch mehr aus. Vor meinen Werbekollegen, die sich das ausgedacht haben, muss ich wirklich den Hut ziehen.
    Ich habe in letzter Zeit so viel Türkisch gegessen, dass ich einen plötzlichen Heißhunger auf die gute deutsche Currywurst empfinde. Aylin hält inne:
    »Wie schmeckt eigentlich eine Currywurst?«
    »Du hast noch nie eine Currywurst gegessen???«
    »Nein.«
    »Aber du warst mal dabei, als andere Currywurst gegessen haben, und hast probiert?!«
    »Nein.«
    »Wie kann man über 20 Jahre in Deutschland leben und den Geschmack von Currywurst nicht kennen???«
    Jetzt wird mir schlagartig klar, was mit »Parallelkultur« gemeint ist. Mein Ehrgeiz ist geweckt. Ich werde zum Repräsentanten meines Landes. Sicher, die Türken haben schöneres Wetter, können besser tanzen und sind gastfreundlicher. Aber wir haben eine funktionierende Demokratie und Currywurst.
    »So. Jetzt zeige ich dir das Fundament im Gebäude der deutschen Esskultur. Das Drei-Sterne-Menü des kleinen Mannes. Das pochierte Perlhuhn-Parfait von Berlin-Charlottenburg – die Currywurst!«
    Ich wende mich an eine vollschlanke Servicekraft, die gerade im »Goldenen Blatt« liest, dass Matthias Reim seine Sehnsucht nach Michelle endgültig überwunden hat. Mit etwas schlechtem Gewissen, weil ich sie beim Erwerb wichtiger Informationen störe, spreche ich sie an:
    »Entschuldigung, haben Sie auch Currywurst ohne Schweinefleisch?«
    »Nein.«
    »Kein Problem, ich esse Schweinefleisch.«
    Dieser Satz aus Aylins Mund wirft einen Teil meines Weltbildes über den Haufen.
    »Aber du bist Türkin.«
    »Ja und?«
    »Aber Türken sind Muslime, und, äh ...«
    »Die meisten Deutschen sind auch katholisch und benutzen Kondome.«
    »Ja, aber sie können's wenigstens beichten ...«
    »Papa isst kein Schweinefleisch, aber Mama, Cem und ich nehmen das nicht so streng.«
    Nun gut. Das muss man wohl so hinnehmen. Es gibt nicht nur rothaarige Türken, sondern auch welche, die Schweinefleisch essen. Ich kaufe also zwei Currywürste mit Pommes rot-weiß und zwei Colas. Da hat sich das Pinkeln aber gelohnt, sonst hätte ich statt saugünstiger 21 Euro 90 den Wucherpreis von 22 Euro 90 zahlen müssen. Als ich die Currywurst stolz zum Tisch bringe, schaut Aylin verwundert:
    »Aber das ist ja nur eine Bratwurst mit Ketchup und Currypulver.«
    »Genau. Eine Currywurst.«
    »Aber ich dachte, das ist irgendeine besondere Wurstsorte. Etwas Exotisches. So was wie karibische Chorizo oder italienischer San-Daniele-Schinken – und keine Bratwurst.«
    Tja. So werden Kindheitsmythen brutal zerstört. Der Weihnachtsmann entpuppt sich als der betrunkene Onkel Bernd, der Osterhase bringt keine Eier, sondern legt kleine braune Dinger, die man nicht mehr aus dem Flokati rauskriegt, und die geheimnisvolle sagenumwobene exotische Currywurst ist eine stinknormale Bratwurst. Aylin und ich lachen, und schließlich findet Aylin, dass eine Bratwurst mit Ketchup und Curry tatsächlich nicht so übel ist.
    Wir fahren weiter Richtung Nordsee, durchqueren den Elbtunnel, wo Aylin erklärt, dass sie noch nie so weit im Norden war. Dann nehmen wir die A7, von der wir in Schleswig abfahren und uns über die Landstraße in Richtung Husum begeben. Irgendwo nördlich von Husum verliere ich die Orientierung und habe das Gefühl, im Kreis zu fahren. Ich versuche, Aylin davon abzulenken, indem ich sie auf die Schönheit der Landschaft aufmerksam mache: die kilometerweiten Weizen-, Raps- und Maisfelder und dienorddeutsche Architektur mit Backstein und Reetdächern. Als ich dabei bin, auf einem Feldweg zurückzusetzen, weil dieser in einer Kuhweide gemündet ist, kann sich Aylin ihr Lachen nicht mehr verkneifen:
    »Du hast keine Ahnung, wo wir sind, stimmt's?«
    »Doch, natürlich. Wir sind ... Ich muss nur da hinten um die Ecke, und dann ist da die B 5. Oder die B 199. Oder ... Auf jeden Fall eine B.«
    Aylin schaut mich grinsend an. Zu meiner eigenen Verwunderung kann ich nicht zugeben, dass ich mich verfahren habe. Ich versuche, noch bis zur nächsten Ecke cool zu bleiben, und hoffe inständig, dass da irgendein Hinweisschild steht. Und ich habe Glück – da steht tatsächlich eins:

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