Macho Man: Roman (German Edition)
»Jens's Imbiss 500 Meter«. Ich beklatsche noch innerlich die Doppel-S-mit-Apostroph-Konstruktion, da gabelt sich vor mir die Straße. Fetzen einer Otto-Waalkes-Nummer kommen mir in den Sinn:
»Rechts oder links – welch große Frage! Vor ihr stand Beckenbauer einst, als er, von Rummenigge angespielt, sich frug, wohin des Leders Rund er flanken sollte. Nach links auf Müllers schuss-gewalt'gen Fuß?! Nach rechts, wo schon das Lockenhaupt des Uli Hoeneß nach dem Ball sich reckt?!«
Ich habe keine Ahnung, wo es langgeht. Die Chancen stehen 50 zu 50. Eigentlich weniger, es könnte nämlich auch sein, dass beide Richtungen falsch sind. Ich halte vor der Gabelung und denke nach. Und zwar so lange, dass es keinen Sinn mehr hat, Wissen vorzutäuschen.
»Also, die Sachlage ist folgende: Ich hatte lange Zeit das unbestimmte Gefühl, eine grobe Ahnung zu haben, wo es eventuell langgehen könnte. Dieses Gefühl ist allerdings in den letzten Minuten schwächer geworden.
»Frag doch den Mann da.«
Erst jetzt sehe ich, dass direkt neben mir auf einer Bank ein alter Mann mit der klassischen norddeutschen Schiffermütze sitzt und mich mit einem Na-du-kommst-wohl-nicht-von-hier-Blick anschaut. Vielleicht hat er auch einfach noch nie so ein kleines Auto gesehen... Noch vor ein paar Wochen hätte es mir gar nichts ausgemacht, als Mann einen anderen Mann nach dem Weg zufragen. Jetzt sträubt sich alles in mir dagegen. Andererseits wäre es noch peinlicher, wenn ich jetzt weitere zwei Stunden durch Schleswig-Holstein gurke, nur um am Ende wieder bei Jens's Imbiss anzukommen. Also lasse ich das Fenster runter.
»Entschuldigung, geht's da zur Hamburger Hallig?«
Ich zeige nach links. Und warte. Auf dem Gesicht des Mannes offenbaren sich keine Anzeichen dafür, dass meine Frage angekommen ist. Nach einer endlosen Pause heben sich die grauen Augenbrauen um einen halben Zentimeter. Der erste Hinweis, dass es sich nicht um eine Wachsfigur handelt. Dann kommt ganz langsam Bewegung in den Unterkiefer. Es dauert allerdings so lange, dass ich vermute, er mümmelt nur ein wenig auf seinem Kautabak. Umso überraschender trifft mich die plötzliche Heftigkeit seiner Antwort. Es klingt wie ein mit verstopfter Nase ausgehustetes Keuchen, und unserem Alphabet mangelt es an Buchstaben, um dieses Geräusch adäquat wiederzugeben. Ich will dennoch annäherungsweise versuchen, es in Lautschrift darzustellen:
»Nnnnneeejjjjj.«
Ich wusste schon immer, dass Norddeutsche nicht unbedingt sehr gesprächig sind, aber dieses Exemplar ist selbst für hiesige Verhältnisse extrem. Vielleicht hat der Mann auch seit Jahren nicht gesprochen, und wenn jemand aus seinem Dorf diese Szene erlebt hätte, wäre großer Jubel ausgebrochen:
»Opa Hein spricht wieder, Opa Hein spricht wieder!!!«
Auf jeden Fall verfällt er jetzt wieder in seine alte Starre. Ich warte gut 30 Sekunden darauf, dass er mir mitteilt, wo es stattdessen zur Hamburger Hallig geht. Vergeblich suche ich nach einem Anzeichen von Bewegung im Unterkiefer. Auch die Augenbrauen müssen sich offensichtlich von der Strapaze des 0,5-Zen-timeter-Hochziehens erholen. Dann kommt mir in den Sinn, dass ich eigentlich nur eine sehr präzise Frage gestellt habe, die ebenso präzise beantwortet wurde. Vielleicht klappt es ja mit einer weiteren Frage:
»Und wo geht es zur Hamburger Hallig?«
Diesmal weiß ich, dass die Antwort Zeit braucht. Das ist so, als ob man plötzlich mit einem alten Computer arbeiten muss, der fünf Minuten braucht, um hochzufahren: Man stellt sich daraufein. Dann hebt der Mann ganz langsam seinen rechten Arm. O nein! Bitte jetzt nicht den Hitlergruß! Ich habe eine Ausländerin im Auto, und ich möchte, dass sie mein Land mag. Bittebitte nicht! Der Arm hebt sich langsam immer weiter, das passiert in etwa zehn Prozent der Geschwindigkeit einer Super-Zeitlupe bei Sportübertragungen. Ich beuge mich vor, damit Aylin es nicht mit ansehen muss. Auf dem Scheitelpunkt angekommen, kippt der Arm plötzlich mit einem Ruck zur Seite, und der Zeigefinger weist in Richtung der Hamburger Hallig. Das Positive: Es war nicht der Hitlergruß. Das Negative: Ich muss wenden. Ich bedanke mich bei dem alten Mann und bin nicht ganz sicher, ob er als Antwort den Kopf leicht nach vorne geneigt oder einfach gar nicht reagiert hat... Wenn irgendwer die türkische Kultur als fremdartig empfindet, soll er bitte mal nach Schleswig-Holstein fahren.
Eine halbe Stunde später endlich das Schild: »Hamburger
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