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Macho Man: Roman (German Edition)

Macho Man: Roman (German Edition)

Titel: Macho Man: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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Heiraten rebellisch.
    Aylins Familie findet Heiraten auch nicht spießig. Dafür existiert Nicht-Heiraten im Weltbild einer türkischen Familie offenbar gar nicht. Ich wette, für den Satz »Wir sind einfach nur zusammen, aber wir heiraten nicht« gibt es keine türkische Übersetzung. Genauso gut könnte man sagen: »Ich bin ein Mann, aber ich habe keinen Penis.« Umso höher ist es Aylin anzurechnen, dass sie versucht, diesen Druck von uns zu nehmen. Aber der Druck ist nun mal da, und ich will nicht zum Heiraten erpresst werden.
    So schön es auch ist, komplexen Gedankengängen nachzugehen, am Ende entscheidet sowieso der Bauch. Wenn man clever genug ist, kann man danach immer eine passende intellektuelle Begründung nachschieben. Und mein Bauch hat sich schon längst entschieden: Ich will Aylin heiraten!!! Ich will ihr einen romantischen Antrag machen, bei dem sie heulen muss. Ich will sie in einem weißen Kleid sehen. Ich will ihren Schleier lüften und sie vor den Augen der Familie küssen. Ich will eine fünfstöckige Hochzeitstorte. Ich will eine wilde Hochzeitsnacht. Und wenn irgendwer sie in Zukunft schamlos anbaggert, will ich sagen können: »Hey, lass die Finger von meiner Frau!«
    Plötzlich ist alles ganz klar: Ich werde Aylin morgen fragen, ob sie meine Frau werden will. Jetzt stellt sich nur noch eine Frage: Wo?Ich erstelle eine Pro-und-Contra-Liste mit geeigneten Orten:

    Ich feuere die Liste frustriert in die Ecke. Das ist das Dumme an Pro-und-Contra-Listen: Wenn man nur lange genug nach Contras sucht, dann findet man auch welche. Da kommt mir plötzlich ein Ort in den Sinn, an den ich bisher gar nicht gedacht habe: die Hamburger Hallig. Die Hamburger Hallig??? Ja, die Hamburger Hallig. Die Hamburger Hallig ist eine winzige Halbinsel im Wattenmeer der Nordsee, die nur über einen schmalen Damm zu erreichen ist. Auf ihr gibt es nur drei Häuser auf einer leichten Erhebung, die man noch nicht einmal Hügel nennen kann. Ansonsten überall nur Wiesen, auf denen Schafe weiden, und das Meer. Hier bin ich 1992 gelandet, als ich nach bestandenem Abitur mit dem InterRail-Ticket durch die Gegend gefahren bin. Meine Grundstimmung war leicht depressiv. Ob es daran lag, dass ich ununterbrochen Roger Waters gehört habe, oder ob ich Roger Waters gehört habe, weil ich depressiv war, kann ich nicht mehr sagen.
    Noch wahrscheinlicher aber lag es daran, dass ich 18 war und immer noch keine Freundin hatte. Das ist heute, wo viele 18-Jährige gerade die Einschulung ihrer Kinder erleben, kaum noch vorstellbar, aber selbst in den frühen 90ern war man mit 19 ein Spätzünder. Auf jeden Fall passten die karge Landschaft, das raue Meer, der heftige Wind und der graue Himmel perfekt zu meiner Stimmung. Ich bin alleine über die Wiesen gewandert, habe mich auf einen Wellenbrecher gesetzt und aufs Meer geschaut. Stundenlang. Und mit einem Mal – keine Ahnung, wie und warum -wurde mir ganz warm ums Herz. Wahrscheinlich hat die Nordsee diesen eingebauten Rosamunde-Pilcher-Effekt, ich weiß es nicht. Plötzlich kamen mir die Tränen, und ich habe mir geschworen: Irgendwann werde ich eine Freundin haben, und dann werde ich sie hier hinbringen und das alles mit ihr teilen.
    Seitdem habe ich nie wieder daran gedacht – bis jetzt. Plötzlich habe ich alles wieder vor Augen: die feuchte Wiese, die Schafe, die endlosen Reihen von Wellenbrechern, der weiße Hallig-Krog mit seinem braunen Reetdach, die unruhige Nordsee mit ihrem permanenten Geruch nach Krabbenbrötchen. Ich brauche keine Pro-und-Contra-Liste mehr, denn mein Entschluss steht in dieser Sekunde fest: Ich werde morgen mit Aylin zur Hamburger Hallig fahren.

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    18
    Es ist Samstagmorgen, zehn Uhr, und ich habe gerade bei den De-nizoglus geklingelt. Eine verschlafene Aylin öffnet mir die Tür.
    »Aylin, wir machen einen Ausflug. Pack ein paar Sachen ein, es könnte sein, dass wir übernachten.«
    »Wohin?«
    »Frag nicht. Komm einfach mit.«
    Aylin schaut mich mit einer Mischung aus Überraschung und Respekt an. Ich bin selbst erstaunt, wie bestimmend ich sein kann. Färbt die Machokultur langsam auf mich ab? Werde ich mir bald einen Schnäuzer wachsen lassen, zehn Schritte vor Aylin hergehen und in Männercafés verkehren?
    Aylin fängt an, einen Rucksack zu packen. Als sie erfährt, dass die Fahrt einige Stunden in Anspruch nehmen wird, gesellen sich zum Rucksack noch zwei Riesenkühltaschen, die so prall mit Lebensmitteln gefüllt sind, dass ein Zehn-Mann-Team

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