Macho Man: Roman (German Edition)
Falle irreführend.
Als Aylin (natürlich eine Stunde zu spät) angeradelt kommt, geht die Sonne auf. Ich bin immer noch verliebt. Ich verliere mich in ihren Augen und vergesse, was ich mit ihr besprechen wollte, aber nach zehn Minuten kommt sie selbst auf das Thema:
»Du, wegen der Hochzeit, das tut mir total leid, ich hätte dich vorwarnen müssen. So sind wir Türken nun mal, da kann es nicht schnell genug gehen. Aber mach dir keine Sorgen: Ich lasse mich nicht unter Druck setzen. Auch nicht von Mama. Ignorier einfach, was sie gesagt hat.«
»Okay, aber, äh, kriegst du dann nicht irgendwie Ärger?«
»Mama ist zwar stur und wird mich jeden Tag fragen, wann es so weit ist. Aber ich bin noch sturer. Und das weiß sie.«
»Aber du wirst nicht irgendwie gefoltert oder nach Anatolien zur Zwangsheirat geschickt?!«
Aylin lacht.
»Wenn meine Familie so hart drauf wäre, dürfte ich wohl kaum als Animateurin arbeiten. Und dich hätten sie niemals in die Wohnung gelassen. Weißt du, es gibt zwei Sorten von Türken: die netten und die verbohrten. Meine Familie gehört zu den netten.«
»Wow, das gäbe 'ne tolle RTL-Serie: Gute Türken, schlechte Tür ken.«
Aylin lacht wieder. Von diesem Lachen werde ich nie genug bekommen, das weiß ich. Derweil hat Aylin schon wieder ihre Familie am Handy: Eine der beiden Ayse-Tanten hat vom Ergebnis des Kaffeesatz-Lesens gehört und will jetzt wissen, wann die Hochzeit stattfindet, weil sie in drei Wochen in die Türkei fliegt. Aylin erwidert leicht genervt, Ayse solle ruhig in die Türkei fliegen und sich keine Gedanken machen. Dann meldet sich Onkel Serkan, der in Leverkusen einen Hochzeitssaal betreibt. Er habe gehört, Aylin wolle heiraten, und sein Saal habe in den nächsten zwei Monaten nur noch drei Termine frei. Und schließlich fragt eine Großtante aus der Türkei, ob Aylin für sie ein Touristenvisum besorgt,damit sie bei der Hochzeit dabei sein kann. Aylin reagiert genervt: Wenn die Familie noch weiter Druck ausübe, werde sie aus Trotz gar nicht heiraten ... Dann tut sie etwas für eine Türkin Ungeheuerliches. Es ist ein Affront gegen die Familie und der endgültige Beweis, dass sie mich wirklich liebt: Sie schaltet ihr Handy aus.
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17
Es ist fünf Uhr in der Nacht, und ich liege seit vier Stunden wach. Ich habe Aylin noch nach Hause gebracht und bin dann direkt ins Bett gegangen. Die erste Stunde habe ich damit verbracht, den Duft von Aylins Parfüm auf meinem T-Shirt einzuatmen und mich dabei an unseren Abschiedskuss im Hausflur zu erinnern, der erst unterbrochen wurde, als ich aus Versehen statt des Lichtschalters die Klingel von Herrn Kohlmüller im Erdgeschoss gedrückt habe, der zwar zu verschlafen war, um richtig wütend zu werden, aber immerhin noch meinte, dass man sich als Ausländer in Deutschland schon an die Regeln halten müsse. Als ich klarstellte, dass ich Deutscher bin, kam ein Satz, der mir bekannt vorkam: »Du siehst aber nicht aus wie ein Deutscher.« Fehlte nur noch das »Vallaha«. Immerhin in diesem Punkt ist Herr Kohlmüller mit seinen türkischen Nachbarn einer Meinung.
Von zwei bis drei habe ich dann mit mir selbst darüber diskutiert, ob es nicht doch ethisch verwerflich ist, koffeinfreien Kaffee in der Werbung als gesund darzustellen. Wenn jetzt Oma Fine von www.pfiffige-senioren.de meinen Spot sieht, danach vermehrt koffeinfreien Kaffee trinkt und anschließend an einem Herzinfarkt stirbt, wäre es meine Schuld. Zumindest teilweise. Ich habe mich dann um drei Uhr unter dem Pseudonym Florian Silbereisen bei den pfiffigen Senioren eingeloggt und Oma Fine vor koffeinfreiem Kaffee gewarnt.
Seit halb vier kreisen meine Gedanken aber nur noch um ein Thema: Aylin und Hochzeit. Ihre Familie hat das Thema gut fünf Jahre früher auf den Tisch gebracht als in Deutschland üblich – und jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: verdrängen oderdrüber nachdenken. Da ich gerade drüber nachdenke, scheint das mit dem Verdrängen irgendwie nicht geklappt zu haben. Also blicke ich der Frage mannhaft ins Auge: Will ich Aylin heiraten? Zunächst einmal meine grundsätzliche Position dem Heiraten gegenüber: Ich finde es nicht spießig. In den 50er- und 60er-Jahren, da war Heiraten spießig. Deshalb haben meine Eltern auch nicht geheiratet, das war Rebellion gegen das Spießertum. Aber wenn ich jetzt auch nicht heiraten würde, dann würde ich mich damit ja an meine Eltern anpassen. Wenn man Alt-68er-Eltern hat, ist Nicht-Heiraten spießig und
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