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Macho Man: Roman (German Edition)

Macho Man: Roman (German Edition)

Titel: Macho Man: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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Hallig 4,5 km«. Ich bin sehr aufgeregt: Aylin wird jetzt zum ersten Mal in ihrem Leben die Nordsee sehen. Ich zahle die Mautgebühr und fahre auf den vier Kilometer langen Damm, der die Insel mit dem Festland verbindet. Der Damm ist schmal und hat nur eine Spur (für den Fall, dass ein Auto entgegenkommt, sind ab und zu kleine Haltebuchten eingerichtet). Links und rechts das tosende Meer. Das Meer??? Ja, wo ist sie denn, die Nordsee? Mein Gott, ist der Klimawandel schon so weit fortgeschritten, dass das Wasser um die Hamburger Hallig weggetrocknet ist? Halt, die Polkappen schmelzen doch – also müsste der Meeresspiegel eigentlich gestiegen sein. In dem Moment trifft mich der Schlag der bitteren Erkenntnis: Ebbe.
    O nein! Diese verdammten Gezeiten – daran habe ich nicht gedacht! Spontane Hassgefühle auf den Mond kommen in mir hoch. Was bildet sich diese beschissene graue Kugel da oben eigentlich ein, mir hier die komplette Nordsee vor der Nase wegzuziehen?! Mit dem Mittelmeer macht sie diesen Schwachsinn doch auch nicht, ja nicht einmal mit der Ostsee! Aber natürlich, wenn Daniel Hagenberger einen Heiratsantrag machen will, dann ziehen wir die salzige Plörre einfach mal ein bisschen von der Küste weg, und die Scheiß-Gravitation und die Kack-Fliehkraft habennatürlich nichts Besseres zu tun, als dieser Aknefresse bei ihrem hirnamputierten Blödsinn zu helfen, diesem Schwachmaten da oben, diesem Axel Schulz unter den Himmelskörpern! Nicht mal selber leuchten kann er, aber mir die Überraschung versauen! Und deine Umlaufbahn ist schief, o ja, an dir stimmt einfach nichts, du Vollidioten-Trabant! Kein Wunder, dass das albernste Auto aller Zeiten nach dir benannt wurde, du hohle Kugel! Ich hoffe, irgendwann kommt ein Komet und haut dich aus der Bahn, dann kannst du in Zukunft um den Jupiter kreisen oder dich in den Pferdekopfnebel verziehen! Hier braucht dich jedenfalls keiner, hörst du?! Keiner!!!
    »Du, Daniel, ist das ein Sumpfgebiet?«
    »Naja, nicht direkt, es ist... Das erklär' ich später.«
    Aylin scheint ein wenig irritiert darüber, dass ich über 400 Kilometer zurücklege, um ihr eine von Sumpf umrahmte Wiese zu zeigen. Panik steigt in mir hoch. Ich kann ihr doch nicht bei Ebbe einen Heiratsantrag machen – mit Ausblick auf wabbelige Quallen, Spulwürmer und braunen Matsch. Da wären tote Ratten im Canal Grande doch die bessere Wahl gewesen.
    Es folgt eine kurze Depression (25 Sekunden), darauf völlige Leere (38 Vz Sekunden), dann beginnt sich in meinem Kopf ein Plan zu formen: Ich kehre mit Aylin in den Hallig-Krog ein, lenke sie dort so lange ab, bis die Nordsee wieder da ist, und ziehe dann alles durch wie geplant...
    Der Hallig-Krog ist ebenso schlicht wie die Landschaft, die ihn umgibt: Niedrige Decken, braun gekachelter Boden, ein paar schlichte Holztische – das war's. Ich merke Aylin an, dass sie nach über fünf Stunden Fahrt etwas Spektakuläreres erwartet hat. Das ist nachvollziehbar. Ich platziere Aylin so am Tisch, dass sie nicht nach draußen gucken kann, und wir bestellen zwei Ostfriesen-Tee. Mit dem Vorwand, aufs Klo zu müssen, schleiche ich mich zum Kellner.
    »Entschuldigung, können Sie mir sagen, wann die Flut wiederkommt?«
    Der Kellner reagiert exakt im Sportübertragungs-Super-Zeitlupentempo, also immerhin zehnmal schneller als der alte Mann.
    »Sieben Uhr.«
    »Sieben Uhr?! Also, ist sie dann schon voll da?«
    Fünf Sekunden Pause, dann kommt eine leicht abgeschwächte Version der seltsamen Lautfolge, die ich inzwischen schon kenne:
    »Nnneeejjj.«
    »Also nicht. Na ja. Aber immerhin geht's dann los. Aber so um halb acht, dann ist sie doch voll da, die Nordsee?!«
    In diesem Moment erfahre ich, wie sich das positive Gegenstück zu »Nnneejjj« anhört. Auch hier kann ich es nur unzureichend in Buchstaben wiedergeben:
    »Jjjooww.«
    »Na also, das ist doch was. Jetzt bin ich beruhigt. Tja, also, vielen Dank für die Auskunft.«
    »Da man nich für.«
    Ich bin erschrocken: Vier Worte hintereinander – der Mann ist ein regelrechtes Plappermaul. Ich schaue auf die Uhr: Zwanzig nach drei. Das heißt, ich muss Aylin noch über vier Stunden davon ablenken, dass ich sie nach einer endlosen Autofahrt in ein Sumpfgebiet verfrachtet habe. Vier Stunden – das kann verdammt lang werden. Am besten, ich fange erst mal ein Gespräch an:
    »Sag mal, Aylin, bist du eigentlich auch so ein fanatischer Trabzonspor-Fan wie dein Vater?«
    Oh Mann, Daniel! So beginnt man doch kein Gespräch

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