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Macho Man: Roman (German Edition)

Macho Man: Roman (German Edition)

Titel: Macho Man: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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beschenkt hat, und will sich auch nicht lumpen lassen: Er zieht sich kurz zurück und kommt mit einem Fünferpack weißer Tennissocken wieder (die klassischen mit roten und blauen Streifen), den er meinem Vater feierlich überreicht. Während meine Mutter ihr Geschenk mit Ekelgefühlen entgegengenommen hat, zeigt sich im Gesicht meines Vaters einfach nur eine totale absolute Leere.
    Weiße Tennissocken mit roten und blauen Streifen, das ist etwas, das im Universum meines Vaters schlicht nicht vorkommt. Dieses Universum ist bevölkert mit der kompletten Literatur- und Theatergeschichte, mit moderner Kunst, der Herkunft von Wörtern, Politik, dem Gesamtwerk von Wolf Biermann und diversen Theorien über die Entstehung des Weltalls. Weiße Tennissocken mit roten und blauen Streifen gibt es dort nicht. Wenn Arno Schmidt welche getragen hätte, gäbe es wenigstens einenAnknüpfungspunkt. So aber ist der Fakt, dass Joschka Fischer als erster Minister in Turnschuhen vereidigt wurde, das, was im Universum meines Vaters einem Fünferpack weißer Tennissocken noch am nächsten kommt. Aber selbst diese Erinnerung kann er nicht ausreichend mit dem in Verbindung setzen, was er gerade in den Händen hält.
    Er ist immer noch so paralysiert, dass er Herrn Denizoglu zum Dank um ein Haar auf den Mund küsst. Nur einer Blitzreaktion von Aylins Vater, der seinen Kopf im letzten Moment zur Seite drehen kann, ist es zu verdanken, dass die Lippen meines Vaters knapp neben dem Mundwinkel auf der Wange landen.
    Eine gute Stunde später sitzen alle auf dem rosaroten Plüschsofa, das Aylins Mutter höchstwahrscheinlich in einem der vielen Kölner Schwulenläden gekauft hat. Aylin und ihre Mutter haben reichlich Raki ausgeschenkt, sodass sich die Stimmung weiter gelockert hat. Diverse Themen wurden gestreift: Trabzonspor, Wolf Biermann, griechische Oliven, die Außenpolitik der Weimarer Republik, die beste Art, Lammbraten zuzubereiten, das Frühwerk von Marc Chagall, die Wassertemperatur am Strand von Sürmene bei Trabzon, die Tatsache, dass das Leben keinen Sinn ergibt.
    Plötzlich entsteht eine Pause, und die Frage steht bleischwer im Raum: Wann werden meine Eltern endlich um Erlaubnis fragen? Ich gucke meinen Vater an, der guckt meine Mutter an, die guckt von ihm zurück zu mir. Ich gucke Aylin an, die guckt ihre Mutter an, die guckt ihren Mann an, der guckt Cem an, der guckt sein Handy an. Ich gucke Aylins Mutter an, die guckt meine Mutter an, die guckt Herrn Denizoglu an, der guckt meinen Vater an, der guckt mich an, ich gucke auffordernd zurück. Endlich räuspert sich mein Vater. Gespannte Stille. Dann schaut er meine Mutter an, die schaut mich an. Ich schaue flehend zurück. Mein Vater räuspert sich noch einmal und schaut wieder meine Mutter an, die meinen flehenden Blick nicht länger ertragen kann und endlich etwas sagt:
    »Also, wir wollten Sie noch etwas fragen, und zwar, äh ... Tja, haha, das ist ungewohnt für uns. Wir machen das zum ersten Mal.«
    Jetzt fühlt mein Vater sich ermutigt, seine Frau zu unterstützen.
    »So ist es, und es ist uns natürlich bewusst, dass Aylin, äh, also dass ich sie zu 100 Prozent respektiere, also als selbstständige ... und so weiter. Jedenfalls wollten wir fragen ...«
    Nun hat ihn der Mut wieder verlassen, und er schaut zu meiner Mutter, die schaut zu mir, sieht Verzweiflung und muss handeln:
    »Also, wir wollten Ihnen die Frage stellen, ob Sie... Also, ob das für Sie okay ist, wenn die beiden, also Daniel und Aylin, äh ...«
    Jetzt platzt es aus Aylins Mutter heraus.
    »Ja, wir erlauben es!!«
    Nach diesem Satz bricht ein Jubel aus, als hätte Trabzonspor gerade in der letzten Minute das Siegtor im Champions-League-Finale geschossen: Alle springen auf, umarmen sich, küssen sich, rufen irgendwelche türkischen Brocken, zertrümmern Schulterblätter – und schaffen es bewundernswerterweise gleichzeitig, mit Hilfe von sechs Handys und zwei schnurlosen Telefonen die guten Neuigkeiten in die Türkei zu brüllen. Ich will Aylin küssen, aber ihre Mutter hat mich im Würgegriff, während Cem die Haut von Aylins Wangen wegzieht und schüttelt.
    Meine Eltern haben sichtlich Spaß: Das Enthüllungsbuch über das türkische Militär, die Analyse griechischer Außenpolitik, der Harlekin und die Tennissocken – das alles ist in diesem Moment vergessen. Cem wirft eine CD mit türkischen Liedern ein, und es wird getanzt. Als mein Vater anfängt, mit den Fingern zu schnipsen, und meine Mutter sich in

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