Macho Man: Roman (German Edition)
der Symptomliste bei »netdoktor.de«. Dafür führt das bloße Lesen der Worte »Benommenheit« und »Schwindelgefühle« in der Symptomliste postwendend zu Benommenheit und Schwindelgefühlen – was immerhin die Rückenschmerzen für eine Weile in den Hintergrund drängt.
Ich bin immer wieder darüber begeistert, wie das Internet unser Leben mit wertvollen Dingen bereichert.
Bei Center TV berichtet jetzt ein investigativer Reporter live vom zehnjährigen Jubiläum der Kneipe »Jupp's Eck« und verbreitet die total interessante Neuigkeit, dass Jupp nach sechs Jahren Gaffel Kölsch auf Reissdorf Kölsch umgestellt hat, was aber an und für sich keine Auswirkungen habe, weil Gaffel sei lecker und Reissdorf sei auch lecker. Wirt Jupp persönlich stellt klar, dass das Sünner Kölsch, das er in den ersten vier Jahren ausgeschenkt habe, auch lecker gewesen sei, und man einigt sich darauf, dass Kölsch an und für sich lecker sei, nur frisch müsse es sein, und das sei ja beim Jupp sowieso immer der Fall.
Dann werden diverse Gäste interviewt und mit der Suggestivfrage »Und? Schmeckt doch wieder, dat Kölsch?!« zu der Aussage gedrängt, dat dat Kölsch schmeckt. Allerdings bleibt das Gespräch nicht derart an der Oberfläche: Die Frage »Ja, dat is mal wieder lecker, oder?« dringt auf subtile Weise tiefer und führt überraschend zurück zu der ursprünglichen Erkenntnis, dass Kölsch lecker ist. Nur Hermann, ein Stammgast, der immer noch zu Jupp kommt, obwohl er mittlerweile drei Häuser weiter wohnt, ersetzt das Wort »lecker« durch »süffig«, was den Reporter zu dem Satz inspiriert: »Genau, et is süffig, und weil et süffig is, isset auch lecker.« Damit ist ein totaler Konsens in Jupp's Eck gefunden, den ich in dem Ausmaß nur aus Berichten über SED-Parteitage kannte.
Plötzlich fällt mir auf, dass sich irgendetwas in unserem Büroverändert hat. Ich schaue mich um ... Karl hat schon immer Heavy-Metal- Videos auf YouTube geguckt, Lysa hat schon immer alberne elektronische Grußkarten verschickt, und Ulli ließ sich schon immer vom Internet zu neuen Symptomen inspirieren. Aber irgendetwas ist anders, und es ist irgendwo im Raum. Ich sehe mich um: die gleiche halb vertrocknete Yuccapalme auf der Fensterbank, die gleichen abstrakten Ölbilder von irgendwelchen mittelbegabten Kunststudenten, die die Innendesignerin in der ganzen Firma verteilt hat, das gleiche Chaos auf allen Schreibtischen außer auf Ullis, wo gut 20 Medikamente liebevoll nebeneinander aufgereiht sind.
Alles ist exakt wie immer, und doch habe ich so ein komisches Gefühl im Magen, dass sich etwas verändert hat. Ich schaue mich noch einmal gründlich um. Und mit einem Schlag wird mir klar, was es ist: Es ist... Lysas Blick.
Ich sitze jetzt seit vier Jahren mit ihr in einem Büro, und seitdem hat sie mich nie als Mann gesehen. Dieser Daniel-ist-harmlos-Blick hat es möglich gemacht, dass wir heute befreundet sind. Und dass ich tatsächlich harmlos war. Ihr Blick sagt, ich bin harmlos – also bin ich auch harmlos.
Aber heute guckt sie mich anders an. Es sind nur Nuancen – ein kurzes Weggucken, ein winziger Augenaufschlag, ein kleines Lächeln ... Aber die Veränderung ist nicht zu leugnen. Plötzlich denke ich darüber nach, ob ich zu ihr rüberschauen soll oder nicht. Ich habe vier Jahre lang nicht darüber nachgedacht. Ich habe einfach geguckt oder eben nicht geguckt, aber ich habe nicht da rüber nachgedacht. Warum zum Teufel denke ich plötzlich darüber nach, ob ich Lysa angucken soll??? Ich gucke Karl an, ich gucke Ulli an – alles normal. Es ist Lysa.
Was ist passiert? Ich will diese Veränderung nicht. Ich will, dass alles so ist wie immer. Aber es ist nicht so wie immer. Ich muss trainieren, Lysa wieder normal anzusehen. Ich sehe sie an. Sie lächelt. Ich lächle zurück. Fast gleichzeitig wenden wir den Blick ab, um uns Sekunden später ebenso gleichzeitig wieder anzusehen -und wieder lächeln wir. O nein, das ist nicht normal. Das ist nicht wie immer. Plötzlich sieht sie in mir einen Mann.
Das Leben ist doch zum Verrücktwerden! Jahrelang habe ichmir gewünscht, dass Lysa in mir nicht den harmlosen Trottel sieht, den Kumpel-Knuddel-Bärchen-mit-dir-kann-man-ja-soooo-gut-reden-Typen, und jetzt, wo ich mein Glück gefunden habe, wo alles klar ist in meinem Leben, sieht sie mich plötzlich als Mann.
Ich überlege mir verschiedene Möglichkeiten, wieder harmlos zu werden:
• Ich könnte Reiner Calmund imitieren. (Wirkt
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