Mach's falsch, und du machst es richtig
freundlich gemeinten Sätze, mit denen besorgte Eltern immer wieder das Gegenteil des Gewünschten bewirken: «Du brauchst überhaupt keine Angst zu haben», lautet zum Beispiel eine Beschwichtigung, die wir beim Besuch des Kinderarztes regelmäßig hören können. Er verfehlt aus doppeltem Grund seinen Zweck: Kindern, die bereits Angst haben, hilft er nicht, weil der Hinweis darauf fehlt,
was
sie gegen ihre Angst tun können. Und all jene Kinder, die ruhig und zufrieden dasitzen, kommen spätestens in diesem Moment auf die Idee, sich zu fürchten. Es gibt viele Ermahnungen, die diese Wirkung haben: «Iß nicht mit offenem Mund», «Wirf deine Klamotten nicht auf den Boden», «Ärgere deine kleine Schwester nicht», «Nimm dir keine Süßigkeiten aus dem Schrank», «Zappel nicht», «Paß auf, daß du nicht hinfällst!» Überspitzt formuliert handelt es sich bei all diesen Sätzen um unbeabsichtigte Handlungsaufforderungen. Eltern, die ihre Kinder mit Hilfe von Verneinungen zu erziehen versuchen, bringen ständig Möglichkeiten ins Spiel, an die die Kinder mitunter nicht gedacht haben. «Die kleine Schwester ärgern? Keine schlechte Idee! Könnten wir wieder einmal machen.»
Daß dieses Phänomen nicht bloß auf Kinder beschränkt bleibt, zeigt eine meiner Lieblingsanekdoten [214] . Es war auf der Geburtstagsparty eines Berliner Freundes namens Volker. Weil der DJ mitreißende Musik spielte, tanzten sehr viele Menschen sehr ausgelassen in einem Zimmer der Altbauwohnung. Irgendwann kamen ein paar Tänzer auf die Idee, im Rhythmus von «Highway to hell» zu hüpfen. Das Ergebnis: Der Parkettboden des Zimmers begann gefährlich zu schwingen. Der panisch herbeigerufene Gastgeber drehte die Musik ab und forderte seine enthemmten Gäste mit ernster Miene auf: «Bitte
nicht
springen!» Mit dem Ergebnis, daß nun alle Anwesenden wie auf Befehl
zu springen begannen
– selbst die, die bisher bloß ein wenig herumgestanden hatten. Und nach dem bisher Gesagten werden wir verstehen, daß die Negation
tatsächlich
ein Befehl war, nur ein ins Negative gewandter.
Halten wir die Annahme für plausibel, daß Aufforderungen, etwas Bestimmtes
nicht
zu tun, mitunter dazu führen, daß wir genau
das
tun – dann werden wir menschliche Regelwerke und Vorschriften schlagartig mit anderen Augen sehen. Sie dienen durchaus dazu, gewisse Handlungen zu verbieten bzw. moralisch zu ächten, bringen aber andererseits die negierten Tatbestände überhaupt erst in die Welt. So beinhaltet das Schild «Ballspielen nicht erlaubt» folgende doppelte Botschaft: «Wehe, ihr spielt hier Ball!» und «Schon mal daran gedacht, hier Ball zu spielen?» Zusätzlichen Nachdruck erfährt die zweite Lesart des Schildes durch den Umstand, daß es exakt an diesem Ort hängt: Irgendwie, sagt das Schild indirekt, muß sich dieser Platz fürs Ballspielen recht gut eignen, sonst gäbe es keinen Grund, es zu untersagen. Warum es also nicht mal versuchen? Wo ist ein Ball?
Es wäre überzogen, daraus eine unumstößliche Regel abzuleiten in dem Sinne: Solche Aufschriften sorgen prinzipiell dafür, daß Menschen genau das tun, was die Schilder negieren. Die Möglichkeit jedoch, daß ein Verbotsschild genau diese Reaktion auslöst, haftet jeder Blechtafel an, auf der ein durchgestrichener Ball abgebildet ist. Und nicht nur dieser Tafel – allen anderen auch. So auch jenen beiden aus Stein bestehenden, die Moses einst direkt von Gott empfangen haben soll. Denn die meisten der eingemeißelten Gebote sind in Form von Negationen formuliert. Um genau zu sein: Es sind acht von zehn: 1 . Du sollst neben mir keine Götter haben; 2 . Mißbrauche nicht den Namen des Herrn; 5 . Du sollst nicht töten; 6 . Du sollst nicht die Ehe brechen; 7 . Du sollst nicht stehlen; 8 . Du sollst nicht falsch aussagen; 9 . Begehre nicht deines Nächsten Frau; 10 . Begehre nicht deines Nächsten Gut. Zweifellos sind die Zehn Gebote Ausdruck jener Schwächen, denen wir Menschen am häufigsten erliegen bzw. vor mehreren tausend Jahren am häufigsten erlegen sind. Aber sie lassen sich eben auch wie eine Anleitung lesen, ein schlechterer Mensch zu werden. Daß es genug Ansatzpunkte gibt, über die Wechselbeziehung von Verboten und deren Übertretung nachzudenken – ganz im Sinne von Watzlawicks These von der Kreisförmigkeit von Aktion und Reaktion –, zeigt das abschließende Zitat aus einem Artikel, der sich mit dem weltweiten Handel von Kokain und Heroin beschäftigt, mit denen «nach
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