Mach's falsch, und du machst es richtig
Statements die gleichen Simulationen auslöst wie die Verarbeitung korrespondierender Affirmativsätze» [209] . Das bedeutet: Egal, ob die Probanden von einem Adler hörten, der
nicht
am Himmel war bzw. von einem, der sich
zweifelsfrei
dort befand – in beiden Fällen entwickelten die Studenten erst einmal das Bild eines am Himmel fliegenden Adlers. Wir können also grundsätzlich davon ausgehen, daß jeder «negierte Sachverhalt routinemäßig simuliert wird, wenn ein negierter Satz dekodiert wird» [210] , und zwar genau so, wie wir das mit affirmativen machen. Das bedeutet: Qualitativ unterscheiden sich diese beiden Prozesse nicht voneinander. Egal, ob wir hören «Mein Vater kocht nicht» oder «Mein Vater kocht» – erst einmal stellen wir uns einen freundlichen Herrn mit Schürze vor, der freudig und konzentriert einen Fisch brät.
Erst im nächsten Schritt beginnt sich der Weg der mentalen Verarbeitung affirmativer und negierter Sätze zu trennen. Dann geht es nämlich darum, das eine vom anderen zu unterscheiden. Doch wie sieht dieser nächste Schritt aus? Kaup & Co. beschreiben ihn folgenderweise: Während bei einem affirmativen Satz die Dekodierungsleistung mit der Simulation der Situation endet (Adler ist am Himmel) und wir sie in die betrachtete Wirklichkeit integrieren, gehen wir bei einem negierten Satz einen Schritt weiter. Erst einmal simulieren wir die negierte Aussage; um diese Simulation nicht mit der Wirklichkeit zu verwechseln, benutzen wir dazu eine Art Hilfssystem, das Bild «Adler ist am Himmel» stellt also bloß einen Zwischenschritt dar. Aber einen entscheidenden: Ohne ihn würden wir nicht verstehen, wovon die Rede ist. Um zu verstehen, was der Satz «There was no eagle in the sky» bedeutet, müssen wir uns erst einmal einen Himmel
mit
Adler vorstellen, um anschließend zu verstehen, was genau ihm fehlt. Wir vergleichen mental die beiden Simulationen miteinander (Himmel
mit
Adler und Himmel
ohne
Adler) und entdecken dabei – einem Suchbild gleich –, worin der entscheidende Unterschied besteht. «Aha», denken wir schließlich, «der Adler – typisch, fehlt schon wieder!» Uns ohne Umwege einen leeren Himmel vorzustellen, wäre zuwenig – sind wir uns des konkret abwesenden Dings nicht bewußt, könnte dem Himmel Unzähliges fehlen: Schnürsenkel, Pizzas, Wolken, Flugzeuge oder Adler. Will man all das etwas wissenschaftlicher ausdrücken, klingt das so: «Im negierten Fall wird die Simulation des Adlers nicht in die bisherige Simulation integriert, sondern in einem getrennten Hilfs-Repräsentationssystem gespeichert. Die Negation wird dabei implizit durch die Abweichung der beiden Repräsentationen erfasst. In der Simulation des Hilfs-Repräsentationssystems befindet sich ein Adler am Himmel; in der Repräsentation der beschriebenen Welt jedoch nicht. Indem wir die beiden Repräsentationen miteinander vergleichen, gewinnen wir die Information, dass es keinen Adler am Himmel gibt.» [211]
Es ist also die Eigenart des Gehirns, uns den Kern einer negierten Botschaft erst einmal als positives Bild zu simulieren. Und genau diese Eigenart sorgt dafür, daß die Neins eine so große Macht entwickeln können. Die Aufforderung «Stell dir keinen blaugrün gepunkteten Elefanten vor!» hebt also die Idee eines eigenartig gefärbten Riesentiers in unser Bewußtsein. Wo sie dann ein sehr prominentes Leben führt, denn – obwohl verneint – bleibt uns der blaugrün gepunktete Elefant über lange Zeit als klares Bild vor Augen. Es gibt viele Beispiele, die uns genau diesen folgenschweren Mechanismus vorführen. Eines stammt aus Shakespeares «Othello». In der dritten Szene kommt es zu jenem verhängnisvollen Gespräch zwischen dem Feldherrn Othello und seinem intriganten Fähnrich Jago, das die Tragödie ins Rollen bringt. Darin gelingt es Jago, die Eifersucht Othellos zu wecken, und von da an beherrscht dessen Denken die wahnhafte Vorstellung, sein loyaler Freund, Leutnant Cassio, und seine Frau Desdemona würden ihn betrügen. Ein haltloser Verdacht – in die Welt gesetzt durch Jago. Dessen Geschick besteht darin, den Verdacht der Untreue nicht durch eine einfache affirmative Aussage der Art «Ihre Frau betrügt Sie!» zu lancieren; vielmehr bedient sich Jago der Macht der Negation. Er beginnt sein Werk mit der einfachen Frage, ob denn Cassio – während Othello um seine spätere Frau warb – gewußt habe, daß er sie liebte. «Von Anfang bis zum Ende; warum fragst du?», so
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