Mach's falsch, und du machst es richtig
in der Lage seien, das Ansehen von Menschen, Organisationen und Produkten merklich zu beschädigen.
Wegner weiß das deswegen so genau zu sagen, weil er andere Versuche in diese Richtung unternommen hat. [223] Bekanntgeworden ist vor allem jener aus dem Jahr 1981 , in dem er Probanden verschiedene Zeitungsschlagzeilen gezeigt hatte, die eine fiktive Person namens Bob Talbert zum Gegenstand hatten. Manche dieser Headlines waren neutral formuliert («Bob Talbert ist in der Stadt angekommen»), manche behaupteten unverblümt, er mache gemeinsame Sache mit der Mafia («Bob Talbert steht mit der Mafia in Verbindung»), andere packten ihre Unterstellung in die Form einer Frage («Steht Bob Talbert mit der Mafia in Verbindung?»), und schließlich gab es auch eine Headline, die in unserem Zusammenhang besonders interessant ist. Sie lautete: «Bob Talbert steht
nicht
mit der Mafia in Verbindung»; eine klassische Negation also, die besagen soll: «Talbert und die Mafia? Nichts dran, vergessen Sie die Story!» Als Wegner jedoch die Probanden nach der Lektüre der Schlagzeilen befragte, was sie von Talbert hielten, habe sich gezeigt, daß nicht nur die Tatsachenbehauptung «Bob Talbert steht mit der Mafia in Verbindung» ihm geschadet hatte, sondern auch «die Unterstellungen tatsächlich sehr wirkungsvoll waren». Das habe nicht nur für die Frageform gegolten, sondern auch für die negierte Schlagzeile «Bob Talbert steht
nicht
mit der Mafia in Verbindung». Sie sei «genauso schädlich gewesen wie die direkten Behauptungen». Laut Wegner gibt es sogar Konstellationen, in denen Unterstellungen effektiver wirkten als Behauptungen. Und zwar dann, wenn diese Unterstellungen von Medien publiziert würden, die als unseriös gelten: «Es hat den Anschein, als würde es Medien, die eine miese Reputation besitzen, mit Unterstellungen tatsächlich gelingen, ihre belastenden Informationen überzeugender rüberzubringen als mit Hilfe direkter Anschuldigungen.» Unterstellungen würden es den Lesern offenbar leichter machen, die negativen Aussagen zu glauben, wirke doch deren Indirektheit «als eine Art Puffer» für den Leser. «Eine interessante Ironie», stellte der Psychologe überrascht fest.
Offensichtlich läßt die Frage, warum bei der Verarbeitung von Negationen in unserem Kopf so oft etwas schiefgeht, den einschlägigen Wissenschaftlern keine Ruhe. Es gibt dazu eine Reihe von Untersuchungen. Auf eine davon will ich noch kurz eingehen, bringt sie doch eine neue Theorie ins Spiel. So erschien im Jahr 2005 eine Studie, deren Ergebnis bereits durch ihren Titel deutlich wird: «Wie Warnungen vor falschen Behauptungen zu Empfehlungen werden können» [224] . Darin widmen sich zwei Marketingfachleute und zwei Psychologen der Frage, ob – und wenn ja, wie – sich eine klare (warnende) Botschaft in unseren Köpfen in ihr Gegenteil verkehren kann. Um es kurz zu machen: Sie tut es. So habe sich in den Köpfen vieler Versuchspersonen die Behauptung «Aspirin zerstört den Zahnschmelz» als Tatsache festgesetzt, obwohl sie gleich darauf als falsch bezeichnet worden war. Ein Phänomen, das man eher bei älteren als bei jüngeren Menschen beobachten konnte; aber auch die sind nicht davor gefeit, sich Unsinn als Tatsache einzuprägen. Auf die Frage nach dem Warum geben die Autoren zwei Antworten. Zum einen spiele uns das Gedächtnis einen Streich. Wir würden nämlich ganz offensichtlich die Botschaft «Aspirin zerstört den Zahnschmelz» und die darauffolgende Warnung «Stimmt nicht!» unterschiedlich gut im Gedächtnis behalten. Während wir erstere meist problemlos behalten würden, gehe die Erinnerung an den Kontext des Gesagten verloren, also an die Warnung. Es ist leicht nachvollziehbar, wozu diese Schwäche führt: Wir behalten nur mehr die Behauptung im Kopf, Aspirin lasse unseren Zahnschmelz verschwinden. Und wir vergessen, daß wir den Quatsch auf einer dubiosen Homepage oder in einer unseriösen Illustrierten gelesen haben.
Aber es gibt noch einen zweiten Grund dafür, warum aus Falschem Wahres werden kann: Daß wir uns an eine Aussage erinnern, lasse in uns das Gefühl entstehen, mit ihr vertraut zu sein. Und was uns vertraut ist – so eine tief in uns verwurzelte, entwicklungsgeschichtlich entstandene Überzeugung (der Tiger!) –, das muß auch stimmen. Und genau dieses Gefühl, «mit den Aussagen vertraut zu sein», fördere «die paradoxe Bereitschaft, die falschen Behauptungen als wahr zu betrachten». Denselben
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