Macht (German Edition)
empfinden würde, wenn er die Vorgänge in der modernen Industrie auf lateinisch beschreiben sollte. Erst mit der Reformation und der Einführung moderner Sprachen an Stelle des Lateinischen fand das teutonische Element in der Zivilisation Westeuropas entsprechenden literarischen und geistigen Ausdruck.
Nach dem Fall der Hohenstaufen schien die Kirche für einige Jahrzehnte die Herrschaft Italiens über die westliche Welt wiederhergestellt zu haben. Vom Finanziellen aus gesehen war diese Herrschaft mindestens so sicher errichtet wie in den Tagen der Antonine im zweiten Jahrhundert – die Gewinne, die aus England und Deutschland nach Rom flossen, überstiegen weit, was die römischen Legionen herauszuholen vermocht hatten. Aber die Gelder wurden durch das Mittel der Verehrung, die man für das Papsttum fühlte, aufgebracht, nicht mit Waffengewalt.
Sobald die Päpste nach Avignon übersiedelten, begannen sie allerdings den Respekt zu verlieren, den sie während der drei vorausgegangenen Jahrhunderte gewonnen hatten. Das ließ sich nicht nur auf ihre völlige Willfährigkeit dem König von Frankreich gegenüber zurückführen, sondern auch auf ihre Teilnahme an furchtbaren Greueln, wie etwa anlässlich der Unterdrückung der Templer. König Philipp IV., der sich in finanziellen Schwierigkeiten befand, wollte die Ländereien dieses Ordens haben. Man entschied sich dafür, sie ganz ohne Grund der Ketzerei zu bezichtigen. Mit Hilfe des Papstes wurden jene, die sich in Frankreich befanden, ergriffen, so lange gefoltert, bis sie bekannten, dem Satan gedient, auf das Kruzifix gespien zu haben und dergleichen, und schließlich in großer Zahl verbrannt, während der König ihren Besitz übernahm, nicht, ohne dass auch für den Papst etwas abfiel. Mit solchen Handlungen begann die moralische Degeneration des Papsttums.
Das große Schisma machte es noch schwieriger, dem Papst gehorsam zu sein, da niemand wusste, wer von den Ansprucherhebenden der legitime war, und jeder von beiden den anderen verdammte. Während des großen Schismas zeigte jeder der beiden Rivalen einen unerfreulichen Willen zur Macht, der bis zur Verleugnung der feierlichsten Eide ging. In einigen Ländern kündigten Staat und Landeskirche gemeinsam beiden Päpsten den Gehorsam. Mit der Zeit wurde es klar, dass nur eine allgemeine Konferenz die Verwirrung beenden konnte. Die Konferenz von Pisa schuf misslicherweise nur einen dritten Papst, ohne die beiden anderen wirklich loszuwerden, obwohl sie ihre Absetzung als Ketzer verkündete. Die Tagung von Konstanz brachte es schließlich zuwege, alle drei zu entfernen und die Einigkeit wiederherzustellen. Der Kampf hatte jedoch die traditionelle Achtung vor dem Papsttum zerstört. Am Ende dieser Zeit der Verwirrung war es einem Wycliff möglich geworden, von den Päpsten zu sagen:
»Einen solchen Dämon loszuwerden, würde der Kirche keinen Schaden zufügen, sondern für sie von Nutzen sein; für seine Zerstörung zu wirken, hieße für die Kirche, der Sache Gottes eifervoll zu dienen.«
Das Papsttum des fünfzehnten Jahrhunderts sagte Italien zu, war aber zu weltlich und offensichtlich zu unmoralisch, um die Frömmigkeit nordischer Länder zu befriedigen. Schließlich wurde in den germanischen Ländern die moralische Revolte stark genug, um wirtschaftliche Motive wirksam werden zu lassen: Es kam zu einer allgemeinen Weigerung, Tribute an Rom zu entrichten, und Fürsten und Adlige bemächtigten sich des Grundbesitzes der Kirche. Das wäre jedoch nicht ohne die Umwälzung des Protestantismus möglich gewesen, die niemals ohne das große Schisma und den Skandal des Papsttums der Renaissance stattgefunden hätte. Wäre die moralische Kraft der Kirche nicht von innen geschwächt worden, so hätten die Angreifer nicht das moralische Übergewicht auf ihrer Seite gehabt; sie wären geschlagen worden, wie Friedrich II. geschlagen worden war.
In dieser Hinsicht ist interessant, was Machiavelli zum Thema der kirchlichen Fürstentümer im neunten Kapitel des »Fürsten« zu sagen hat:
»Es bleibt uns nun noch die Aufgabe, von kirchlichen Fürstentümern zu sprechen. Was diese betrifft, so ist die geringste Schwierigkeit ihre Inbesitznahme, denn sie werden durch Fähigkeit oder Glück erworben und können ohne das eine oder andere gehalten werden. Sie erhalten nämlich ihre Kraft durch alte Verordnungen der Religion, die so allmächtig und von derartigem Charakter sind, dass die Fürstentümer beherrscht werden können
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