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Macht (German Edition)

Macht (German Edition)

Titel: Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertrand Russell
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ohne Ansehen des Verhaltens und der Lebensweise ihrer Fürsten. Diese Fürsten allein besitzen Staaten und verteidigen sie nicht, sie haben Untertanen und regieren sie nicht; und die Staaten, wenn sie auch unbewacht sind, werden ihnen nicht genommen, und die Untertanen, obwohl nicht regiert, kümmern sich nicht darum, und sie haben weder den Wunsch noch die Fähigkeit, aus diesem Gefüge auszubrechen. Solche Fürstentümer allein sind gesichert und glücklich. Da sie jedoch von Mächten aufrecht gehalten werden, zu denen menschlicher Verstand nicht hinreicht, werde ich nicht weiter von ihnen sprechen, da sie, von Gott groß gemacht und erhalten, nur von einem voreingenommenen und voreiligen Mann behandelt werden könnten.«
    Diese Worte wurden unter dem Pontifikat Leos X. geschrieben, also zu Anfang der Reformation. Frommen Deutschen wurde es allmählich unmöglich, zu glauben, dass der uneingeschränkte Nepotismus Alexanders VI. oder die Geldgier Leos »von Gott groß gemacht und erhalten« sein konnten. Luther, ein »voreingenommener und voreiliger Mann«, war durchaus willens, die Diskussion über die päpstliche Macht zu eröffnen, vor der Machiavelli zurückschreckte. Und sobald moralische und theologische Unterstützung für die Opposition gegen die Kirche in Erscheinung trat, brachten Gründe der Selbsterhaltung die Opposition zu schnellem Wachstum. Da die Macht der Kirche auf die Macht der Schlüssel gegründet war, war es natürlich, dass die Opposition sich mit einer neuen Rechtfertigungslehre verband. Luthers Theologie machte es Laienfürsten möglich, die Kirche ohne Furcht vor Verdammung in ihren Mitteln einzuschränken, ohne dass sie auch dadurch moralischer Verurteilung von Seiten der eigenen Untertanen verfallen wären.
    Während wirtschaftliche Gründe in hohem Maße zur Verbreitung der Reformation beitrugen, sind sie offenbar nicht deren einzige Voraussetzung, denn sie waren Jahrhunderte hindurch wirksam gewesen. Viele Kaiser versuchten, dem Papst Widerstand zu leisten, ebenso handelten andere Staatsoberhäupter, zum Beispiel Heinrich II; und König Johann in England. Ihre Versuche wurden jedoch als bösartig betrachtet und daher zum Scheitern verurteilt. Erst nachdem das Papsttum eine lange Zeit hindurch seine traditionelle Macht in einem Grade missbraucht hatte, dass es zur moralischen Revolte kam, wurde ein erfolgreicher Widerstand möglich.
    Aufstieg und Niedergang der päpstlichen Macht sollten jedem der Betrachtung wert erscheinen, der Machtaneignung durch Propaganda zu verstehen sucht. Es genügt nicht, zu sagen, dass Menschen abergläubisch sind und an die Macht der Schlüssel glauben. Das ganze Mittelalter hindurch gab es Häresie, die wie der Protestantismus an Ausdehnung gewonnen hätte, hätten die Päpste nicht, alles in allem, Achtung verdient. Und ohne Häresie machten weltliche Herrscher kraftvolle Versuche, die Kirche in Untertänigkeit gegenüber dem Staat zu halten, Versuche, die im Westen fehlschlugen, wenn sie sich auch im Osten durchsetzten. Dafür gab es verschiedene Gründe.
    Zunächst einmal war das Papsttum nicht erblich und daher nicht durch Erbstreitigkeiten beunruhigt wie weltliche Königtümer. Ein Mann konnte in der Kirche nicht leicht zu hohem Range kommen, außer durch Frömmigkeit, Studium oder staatsmännisches Können; infolgedessen waren die meisten Päpste in einer oder mehreren Hinsichten Männer weit über dem Durchschnitt. Weltliche Oberhäupter konnten fähige Menschen sein, waren aber sehr oft gerade das Gegenteil; dazu hatten sie nicht die Übung in der Beherrschung ihrer Leidenschaften, die die Männer der Kirche besaßen. Wiederholt kamen Könige in Schwierigkeiten, weil sie eine Ehescheidung erstrebten, die als Angelegenheit der Kirche sie der Gnade des Papstes auslieferte. Manchmal beschritten sie den Weg Heinrichs VIII., um diese Schwierigkeit zu überwinden, aber ihre Untertanen waren empört, ihre Lehensleute wurden ihres Eides entbunden, und schließlich hatten sie sich zu unterwerfen oder sie mussten untergehen.
    Eine andere große Stärke des Papsttums war seine unpersönliche Dauer. Im Streit mit Friedrich II. ist es erstaunlich, in wie geringem Maße der Tod eines Papstes sich bemerkbar macht. Es gab einen Block von Doktrinen und eine Tradition der Staatskunst, denen Könige nichts Gleichwertiges gegenüberzustellen hatten. Erst mit dem Aufstieg des Nationalismus erwarben weltliche Regierungen eine vergleichbare Dauerhaftigkeit oder

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