Macht (German Edition)
theologischer und
weltlicher Rebellion. Wenn das individuelle Gewissen das Urteil der Kirche nicht anzunehmen vermochte, konnte es in den Evangelien Unterstützung für seine Verweigerung einer Unterwerfung finden. Häresie kann für die Kirche störend sein, sie war jedoch als solche nicht dem Geist des primitiven Christentums entgegengesetzt.
Dieser Schwierigkeit begegnet jede Autorität, die der Revolution ihren Ursprung verdankt Sie muss darauf bestehen, dass die ursprüngliche Revolution gerechtfertigt war, und kann daher logischerweise nicht behaupten, dass alle folgenden Revolutionen unsittlich sind. (13) Das anarchische Feuer blieb, wenn auch unterirdisch, das ganze Mittelalter hindurch im Christentum lebendig; zur Zeit der Reformation schlug es auf einmal in mächtigen Flammen empor.
2. Die Reformation. Vom Gesichtspunkt der Macht aus besitzt die Reformation zwei Aspekte, die uns angehen: einesteils schwächte ihr theologischer Anarchismus die Kirche, andererseits stärkte sie durch die Schwächung der Kirche den Staat. Die Reformation war in der Hauptsache bedeutend als teilweise Zerstörung einer großen internationalen Organisation, die sich wiederholt als stärker denn irgendeine weltliche Regierung erwiesen hatte. Um gegenüber der Kirche und den Extremisten Erfolg zu haben, war Luther gezwungen, sich auf weltliche Fürsten zu stützen; (14) die lutherische Kirche zeigte niemals bis zur Zeit Hitlers irgendwelchen Ungehorsam gegenüber nichtkatholischen Regierungen. Der Bauernaufstand gab Luther einen weiteren Vorwand, um Unterwürfigkeit gegenüber den Fürsten zu predigen. Die Kirche hörte in lutheranischen Ländern als unabhängige-Macht praktisch auf und wurde ein Teil der Maschinerie, die Unterwerfung unter die weltliche Regierung lehrte.
In England nahm Heinrich VIII. die Sache mit bezeichnender Kraft und Skrupellosigkeit in die Hand. Indem er sich selbst zum Oberhaupt der Kirche von England erklärte, begann er seine Arbeit zur Schaffung einer nationalen und weltlichen Religion. Er wünschte keineswegs, dass die Religion in England einen Teil der universalen Religion der Christenheit bilden sollte; er wollte, dass die englische Religion viel mehr seinem Ruhm als der Herrlichkeit Gottes dienen möge. Durch das Mittel ergebener Parlamente konnte er Dogmen nach Belieben ändern; und er hatte keine Schwierigkeit, jene hinrichten zu lassen, denen diese Veränderungen nicht passten. Die Auflösung der Klöster brachte ihm Einnahmen, die es ihm ermöglichten, leicht solche katholischen Erhebungen wie die Pilgrimage of Grace niederzuschlagen. Das Schießpulver und die Rosenkriege hatten die alte feudale Aristokratie geschwächt, deren Häupter er abschlagen ließ, wann immer er dazu aufgelegt war. Wolsey, der sich auf die althergebrachte Macht der Kirche stützte, fiel; Cromwell und Cranmer waren Heinrichs gefügige Werkzeuge. Heinrich war ein Pionier, der zuerst der Welt zeigte, was beim Niedergang der Kirche die Macht des Staates sein konnte.
Das Werk Heinrichs VIII. wäre vielleicht nicht von Dauer gewesen, wäre nicht unter Elisabeth eine Form des mit dem Protestantismus verbündeten Nationalismus zugleich notwendig und einträglich geworden. Selbsterhaltung verlangte die Niederlage des katholischen Spanien und nahm die angenehme Form der Erbeutung spanischer Schatzschiffe an. Nach dieser Zeit kam die einzige Gefahr für die anglikanische Kirche von der Linken, nicht von der Rechten. Aber der Angriff der Linken wurde abgewiesen und abgelöst von
Der goldenen Zeit des guten König Karl,
Als Treue keine Leiden brachte.
Der »Vikar von Bray« beleuchtet die Niederlage der Kirche durch
den Staat in den protestantischen Ländern. Solange religiöse Duldsamkeit nicht für möglich gehalten wurde, war der Erastianismus der einzige vorhandene Ersatz für die Autorität des Papstes und der Großen Räte.
Der Erastianismus konnte allerdings Menschen nicht befriedigen, in denen ein starkes persönlich-religiöses Gefühl lebte. Es war etwas Groteskes in der Forderung, man möge sich in Fragen wie die Existenz des Fegefeuers der Autorität des Parlaments beugen. Die Unabhängigen verwarfen Staat und Kirche gleichermaßen als theologische Autoritäten und verlangten das Recht auf persönliches Urteil mit dem Zusatz der religiösen Duldsamkeit. Dieser Standpunkt verband sich schnell mit der Empörung gegen weltlichen Despotismus. Wenn jeder Mensch ein Recht auf eigene theologische Ansichten
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