Macht (German Edition)
gefälschter Beweise der Partei zuschreiben lassen, die ihm persönlich nicht passt. In Beziehung zu solchen Dingen wie die freie Rede stimmt er mit dem Heiligen Ambrosius überein, dass es für seine eigene Partei Freiheit geben müsse, nicht aber für andere.
Das Ergebnis derartiger Lehren besteht darin, alle Macht zunächst in revolutionäre und dann über unvermeidliche Abstufungen in nackte Gewalt zu verwandeln. Diese Gefahr ist imminent; darüber, wie sie vermieden werden kann, werde ich erst später etwas sagen.
Der Verfall des Liberalismus hat viele Ursachen, die sowohl technischer wie psychologischer Natur sind. Man kann sie in der Kriegstechnik, in der Produktionstechnik, in den vermehrten Möglichkeiten der Propaganda und im Nationalismus finden, der selbst wieder ein Ergebnis liberaler Lehren ist. Alle diese Ursachen haben, besonders dort, wo der Staat über wirtschaftliche und politische Macht verfügt, die Macht der Regierungen ungeheuer erweitert. Die Probleme unserer Zeit im Hinblick auf die Beziehung des Individuums zum Staat sind neuartige Probleme, die mit Locke und Montesquieu nicht zu lösen sind. Ein modernes Gemeinwesen verlangt im selben Grade wie die des achtzehnten Jahrhunderts, wenn es glücklich und blühend sein soll, nach einer Sphäre der individuellen Initiative, aber diese Sphäre muss neu definiert und mit neuen Methoden gesichert werden.
ACHTES KAPITEL
WIRTSCHAFTLICHE MACHT
W irtschaftliche Macht ist ungleich militärischer Macht nicht primärer, sondern abgeleiteter Art. Sie hängt im Rahmen eines Staates vom Gesetz ab; im internationalen Maßstab hängt sie nur in kleineren Fragen vom Gesetz ab, wenn größere Fragen zur Debatte stehen, aber von Krieg und Kriegsdrohung. Man hat sich daran gewöhnt, wirtschaftliche Macht ohne Analyse anzuerkennen. Das hat in neuerer Zeit zu einer unangebrachten Betonung des Ökonomischen im Gegensatz zu Krieg und Propaganda in der kausalen Geschichtsauslegung geführt.
Von der wirtschaftlichen Macht der Arbeiterbewegung abgesehen, besteht letzthin jede andere wirtschaftliche Macht in der Fähigkeit, wenn notwendig durch den Einsatz der Waffen, zu entscheiden, wer auf einem gegebenen Stück Land bleiben, Dinge hineintun und Dinge herausnehmen darf. In manchen Fällen ist cl2s klar. Das südpersische Petroleum gehört der Anglo-Persien Oil Company, weil die britische Regierung angeordnet hat, dass niemand sonst Zutritt zu ihm haben darf, und bisher stark genug gewesen ist, ihren Willen durchzusetzen. Wenn aber Großbritannien in einem ernsthaften Kriege geschlagen worden wäre, würde der Inhaber wahrscheinlich wechseln. Die rhodesischen Goldfelder gehören gewissen reichen Leuten, weil die britische Demokratie es für wert erachtete, diese Männer zu bereichern, indem sie mit Lobengula Krieg führte. Das Petroleum der Vereinigten Staaten gehört gewissen Kompanien, weil sie ein legales Recht daran haben, und die Streitkräfte der Vereinigten Staaten stehen bereit, dem Gesetz Achtung zu verschaffen; die Indianer, denen ursprünglich die Petroleumgebiete gehörten, haben keinen gesetzlichen Anspruch auf sie, weil sie im Krieg eine Niederlage erlitten. Das Eisenerz von Lothringen gehört französischen oder deutschen Bürgern, je nachdem, wer im letzten Krieg zwischen beiden Ländern Sieger geblieben ist. Und so weiter.
Aber die gleiche Untersuchung kann auf weniger offensichtliche Fälle angewendet werden. Warum muss ein Pächter für seinen Hof Pacht zahlen, und warum darf er seine Ernte verkaufen? Er muss Pacht zahlen, weil das Land dem Grundbesitzer »gehört«. Der Eigentümer besitzt das Land, weil er es durch Kauf oder Erbschaft von einem anderen erworben hat. Wenn man die Geschichte seines Anrechts nach rückwärts verfolgt, kommt man schließlich auf einen Mann, der das Land sich gewaltsam aneignete – sei es die Willkür eines Königs, ausgeübt zugunsten eines Höflings, sei es Eroberung großen Stils, wie die der Sachsen und Normannen. Zwischen derartigen Gewaltakten wird die Macht des Staates dazu gebraucht, das Eigentum dem Gesetz entsprechend zu garantieren. Und Eigentum an Boden bedeutet Macht zu entscheiden, wem der Zutritt zum Boden gestattet werden soll. Für diese Erlaubnis zahlt der Pächter seine Pacht, und um ihrer willen kann er seine Ernte verkaufen.
Die Macht der Industriellen ist von derselben Art. Sie beruht letzten Endes auf der Aussperrung, das heißt auf der Tatsache, dass der Eigentümer einer Fabrik die
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