Macht (German Edition)
ihre Propaganda wahren. Aber sie haben bisher nicht vermocht, den Sozialismus herbeizuführen oder Regierungen an der Macht zu halten, die ihnen gefielen, denen aber die Mehrheit des Volkes misstraute.
So ist die Macht wirtschaftlicher Organisationen zur Beeinflussung politischer Entscheidungen in einer Demokratie durch die öffentliche Meinung eingeschränkt, die in vielen wichtigen Fragen nicht einmal von einer sehr intensiven Propaganda umgestoßen werden kann. Wo die Demokratie existiert, besitzt sie mehr Realität, als viele Gegner des Kapitalismus zuzugeben gewillt sind.
Obwohl die wirtschaftliche Macht, insofern sie durch das Gesetz geregelt ist, letzten Endes auf dem Grundbesitz beruht, haben die nominellen Grundeigentümer in einem modernen Gemeinwesen nicht den größten Anteil an ihr. In feudalen Zeiten hatten die Menschen, die Land besaßen, die Macht. Sie konnten den Löhnen mit Maßnahmen, wie etwa das Statut der Arbeiter, und der entstehenden Macht des Kredites mit Pogromen entgegentreten. Wo aber die Industrialisierung fortgeschritten war, war der Kredit stärker als der nominelle Grundbesitz geworden. Landeigentümer leihen sich auf kluge oder unkluge Weise Geld und geraten so in Abhängigkeit von den Banken. Das ist ein Gemeinplatz und wird gewöhnlich völlig als Folge von Veränderungen in der Produktionstechnik angesehen. Tatsächlich aber ist es, wie man in Indien sehen kann, wo die Agrartechnik keineswegs modern ist, die Folge der Macht und der Entschlossenheit des Staates, dem Gesetz Achtung zu verschaffen. Wo das Gesetz nicht allmächtig ist, werden Geldverleiher zuweilen von ihren Schuldnern ermordet – diese verbrennen gleichzeitig alle Dokumente, die ihre Schuld beweisen. Jeder, der mit dem Boden verbunden ist, vom Fürsten bis zum Bauern, hat sich ans Borgen gewöhnt, seit sich nur willige Geldverleiher zeigten. Aber nur dort, wo das Recht geachtet und erzwungen wird, hat der Schuldner Zinsen zu zahlen, bis er ruiniert ist. Wo das geschieht, geht die vom Grundbesitz stammende Macht vom Leihenden allmählich auf den Verleiher über. Und in einem modernen Gemeinwesen ist der Verleihende in der Regel eine Bank.
In einem modernen großen Verband sind Besitz und Macht keineswegs notwendigerweise miteinander verknüpft. Dieser Umstand, Soweit er die Vereinigten Staaten betrifft, wird in umfassender Form in einem sehr wichtigen Buch – »The Modern Corporation and Private Property« (1932) von Berle und Means – behandelt. Sie behaupten, dass wirtschaftliche Macht zentripetal ist, obwohl Eigentümerschaft zentrifugal ist; im Laufe einer sehr sorgfältigen und erschöpfenden Untersuchung kommen sie zu dem Schluss, dass zweitausend Personen die halbe Industrie der Vereinigten Staaten kontrollieren (S. 33). Sie betrachten den modernen Vorsitzenden als analog zu den Königen und Päpsten früherer Zeiten; ihrer Meinung nach kann man über seinen Ursprung mehr lernen, wenn man Männer wie Alexander den Großen studiert, als wenn man ihn als den Nachfolger der Handelsleute betrachtet, die einem bei Adam Smith begegnen. Die Machtkonzentration in diesen riesigen wirtschaftlichen Organisationen entspricht – so führen sie aus – der in der mittelalterlichen Kirche oder im Nationalstaat und ist so geartet, dass er Verbände befähigt, Staaten gleichwertig gegenüberzutreten.
Es ist leicht zu sehen, wie diese Konzentration zustande gekommen ist. Der gewöhnliche Aktienbesitzer in einer Eisenbahngesellschaft hat zum Beispiel keine Stimme in der Verwaltung der Eisenbahn. Er kann theoretisch soviel zu sagen haben wie der durchschnittliche Stimmberechtigte hei einer Parlamentswahl in der Verwaltung des Landes, in Wirklichkeit aber steht er noch hinter jenem zurück. Die wirtschaftliche Macht der Eisenbahn ist in den Händen ganz weniger Männer. In Amerika verfügt über sie in der Regel nur ein einziger Mann. In jedem entwickelten Land gehört die wirtschaftliche Macht in ihrer Masse einer kleinen Gruppe von Personen. Manchmal sind diese Menschen Privatpersonen, wie in Amerika, Frankreich und Großbritannien, manchmal sind sie Politiker, wie in Deutschland, Italien und Russland. Das letztere System entsteht, wenn wirtschaftliche und politische Macht miteinander verschmolzen sind. Die Tendenz der wirtschaftlichen Macht, sich in wenigen Händen zu konzentrieren, ist zum Gemeinplatz geworden, aber diese Tendenz eignet der Macht im Allgemeinen und nicht allein der wirtschaftlichen Macht. Ein System, in
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