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Macht (German Edition)

Macht (German Edition)

Titel: Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertrand Russell
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Großbritannien, und es wäre, selbst vom Standpunkt der Regierung aus, klug gewesen, ihrer Propaganda völlige Freiheit zu geben.
    Ich glaube nicht, dass eine Regierung jemals eine Propaganda zulassen sollte, die, sagen wir, auf die Ermordung einer bestimmten Person hinausgeht. Denn in diesem Fall könnte die empfohlene Handlung wirklich geschehen, selbst wenn nur sehr wenige von der Propaganda beeinflusst werden würden. Es ist die Pflicht des Staates, das Leben seiner Bürger zu schützen, sofern sie nicht auf gesetzlichem Wege der Todesstrafe verfallen sind, und wenn es eine Agitation zugunsten der Ermordung eines Menschen gibt, kann es sehr schwer werden, ihn zu schützen. Die Weimarer Republik war in dieser Hinsicht zu lasch. Ich glaube jedoch nicht, dass eine stabile Regierung eine Agitation verbieten sollte, die die gesetzliche Todesstrafe für eine bestimmte Klasse verlangt, denn eine derartige Agitation bildete für die Legalität keine Gefahr.
    Es kann, selbst vom Regierungsstandpunkt aus, keinen wirklichen Grund dafür geben, Ansichten zu hindern, die den Bestand des Staates nicht in Gefahr bringen. Wenn ein Mensch glaubt, dass die Erde flach ist oder der Sabbat am Samstag gefeiert werden solle, soll er die Freiheit haben, nach seinem Vermögen die Leute zu seiner Ansicht zu bekehren. Der Staat sollte sich nicht als Hüter der Wahrheit in Wissenschaft, Metaphysik oder Moral betrachten. Er hat so zu fast allen Zeiten gehandelt und handelt heute so in Deutschland,
    Italien und Russland. Aber das ist ein Eingeständnis der Schwäche, von der stabile Staaten frei sein sollten.
    Wir kommen nun zum Durchschnittsbürger und finden, dass er sehr wenig Interesse an Propagandafreiheit hat, Umstände ausgenommen, in der diese Freiheit den Regierungen am gefährlichsten erscheint, nämlich dann, wenn sie den Bestand der Regierungen bedroht. Die Regierung kann sich der Religion oder der Nationalität nach von ihren Untertanen unterscheiden; sie kann den König gegen die Aristokratie, den Adel gegen die Bourgeoisie oder die Bourgeoisie gegen die Armen vertreten; sie kann den Anschein haben, zu wenig patriotisch zu sein, wie Karl II. oder die deutschen Regierungen nach dem Kriege. In solchen Situationen kann der Durchschnittsbürger an einer Agitation gegen die Regierung Interesse bekommen, und er wird das Prinzip der Redefreiheit anrufen, wenn seine Führer ins Gefängnis geworfen werden. Aber das sind vorrevolutionäre Situationen, und wenn man sagt, dass, wo sie bestehen, die Regierungen gegnerische Propaganda dulden sollten, so heißt das in Wahrheit, dass sie zurücktreten sollten. Das ist selbst von ihrem Standpunkt aus richtig, denn wenn sie zurücktreten, verlieren sie nur ihre Macht, während sie, falls sie weiterbestehen, möglicherweise das Leben verlieren. Aber nur wenige Regierungen sind so klug, das einzusehen. Noch ist es immer richtig, wenn ein starkes Land ein schwaches unterdrückt.
     
Es ist das unglückseligste Land,
Das jemals man gesehn
Denn sie hängen Männer und Frauen dort,
Wenn sie etwas tragen in Grün.
     
    England konnte diese Politik gegenüber Irland acht Jahrhunderte
hindurch fortsetzen und verlor schließlich nur ein wenig Geld und ziemlich viel Prestige. Acht Jahrhunderte lang hatte die britische Politik Erfolg, denn die Grundbesitzer waren reich, wahrend die Bauern verhungerten.
    In den Fällen, in welchen Propagandafreiheit den Durchschnittsbürger interessiert, bedeutet sie entweder gewaltsame Revolution oder die Anerkennung weitergehender Freiheit, nämlich der Freiheit, die Regierung zu wählen. Sie ist mit Demokratie und dem Recht unzufriedener Gemeinschaften auf Autonomie verbunden; mit einem Wort, mit dem Recht, auf friedlichem Wege das zu erreichen, was sonst auf revolutionärem Wege erreicht werden würde. Das ist ein wichtiges Recht, und seine Anerkennung ist um des Weltfriedens willen durchaus notwendig; aber es geht weit über das Recht auf freie Propaganda hinaus.
    Es bleibt der Standpunkt des glühenden Erneuerers. Wir können als Typen den Christen vor Konstantin, den Protestanten zur Zeit Luthers und den Kommunisten der Gegenwart nehmen. Solche Menschen haben selten an die freie Rede geglaubt. Sie sind bereit gewesen, Märtyrer zu werden, aber ebenso bereit, andere zu Märtyrern zu machen. Die Geschichte beweist, dass in der Vergangenheit entschlossene Männer den Regierungen zum Trotz frei sprechen konnten. Neuzeitliche Regierungen sind allerdings wirkungsvoller und

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