Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
ihn anstacheln, über die Zeichen seines Körpers und seiner Seele hinweg, dabeizubleiben. Weil man nicht aufhört mit etwas, von dem viele träumen, dabei sein zu dürfen. Er glaubt, dass es viel mehr Spieler gibt, die fühlen wie er. Aber die meisten haben nichts anderes gelernt, wollen im Fußballgeschäft bleiben nach der aktiven Karriere. Da sagt man nicht: »Ich mag nicht mehr mitspielen.« Sonst gehen gleich die Spekulationen los. »Dann zieht man es lieber durch.«
Entscheidende Pässe spielt Thomas Hitzlsperger derzeit keine, auch wenn er noch zaghaft nach einem neuen Club sucht. Einen, der auf seine Bedürfnisse zugeschnitten ist, sagt er und schmunzelt beim Versuch der Konkretisierung dieser Utopie. England sollte es am liebsten sein, dort wo man ihn in guter Erinnerung hat. Wo die Fans selbst beim Abstieg applaudieren, wenn sie spüren, dass eine Mannschaft ihr Bestes gegeben hat.
Aber wenn es nichts wird, dann ist es auch in Ordnung. Er genießt die Rückkehr zu seinem Innersten, oder vielleicht dessen Entdeckung. So genau vermag er das alles noch nicht zu beschreiben. Aber überhaupt Genuss zu empfinden, das sei schon mal ein Gewinn. Länger als die vier Sekunden, die es vom Torschuss bis zur Eckfahne braucht.
Für Ole von Beust war der 29. Februar 2004 der Tag, an dem ganz und gar er gemeint war. Seine Substanz. Der Tag der Neuwahlen in Hamburg, nach dem Rausschmiss seines umstrittenen Stellvertreters Roland Schill und dem Bruch der Regierungskoalition. Die Bewertung seiner dreijährigen Amtszeit: Ein 47,2%iges, absolut mehrheitliches Bürgervotum in Kenntnis seiner ganz persönlichen Tugenden. Und Untugenden. Seiner Bereitschaft, im Sinne des Machtgewinns mit Unwürdigen zu koalieren, wie dem diabolischen Rechtspopulisten Schill. Und der Entschiedenheit, diesen mit dem Risiko des Machtverlustes auch wieder herauszuwerfen, zum Schutze seiner Integrität.
Es war natürlich ein grandioser Abend, erinnert sich Ole von Beust an den vielleicht größten Tag seiner Amtszeit, auch wenn die Umfragen ihn bereits täglich auf den Triumph vorbereitet hatten. Keinesfalls habe er an dieses bravouröse Ergebnis geglaubt, als er impulsiv entschied, seinen Innensenator rauszuschmeißen und die aufsehenerregende Entlassung im Rahmen einer Pressekonferenz bekanntzumachen. Der hatte ihn zu erpressen versucht, weil Ole von Beust einen Schill nahestehenden Staatsrat wegen Dienstvergehen in den Ruhestand versetzte. Mit der Offenlegung von Beusts sexueller Präferenz und einer angeblichen intimen Beziehung zu einem befreundeten Senator. Eine Räuberpistole eigentlich. Zumal mit der gediegenen Hansestadt als Kulisse. Aber auch die Chance für den ganz großen Befreiungsschlag. »Der Rausschmiss von Schill war eine spontane Reaktion, mir war klar, dass ich nicht erpressbar sein wollte.« Dann habe er intuitiv gehandelt. Und ist damit vom »kleinen Ole«, den alle »lieb und nett, aber auch ziemlich weichgespült« fanden, zum »knallharten Entscheider« geworden. Dass ihm manche die Koalition mit Schill heute noch mächtig übelnehmen, weiß er wohl. Aber es habe nun mal keine andere Möglichkeit gegeben, eine vierundvierzigjährige sozialdemokratische Regentschaft zu beenden. Und selbst an die Macht zu kommen. Beim Versuch der Rechtfertigung schlawinert er auf seine unnachahmliche Weise: »Schill war charakterlich schwierig, aber ich dachte, er fängt sich im Amt.« Später tuschelten dessen Weggefährten, dass Schill mit Pistole zur Rauswurfpressekonferenz gekommen sei. Und dass er Sitzungen nicht etwa ständig verlassen habe, weil ihm unter der schusssicheren Weste so warm wurde, sondern weil er in den ehrwürdigen Rathaustoiletten seinen Kokainvorrat verstaut haben sollte. Von Beust erzählt es wie eine heitere Episode, man weiß ja nicht, ob es tatsächlich wahr ist. Viele haben über die Verniedlichung dieses politischen Teufelspaktes nicht gelacht.
Dennoch haben es die meisten schnell vergessen. Sie haben ihm seinen Mut höher angerechnet als sein unerwartetes Machtkalkül. Aus Respekt und aus Dankbarkeit. Der Bürgermeister von Beust hat Hamburg die Chance gegeben, das Tor zur Welt einen Spalt weiter zu öffnen, liberaler zu scheinen, modern und aufgeschlossen. Vor allem im Wettstreit mit der ungeliebten Bundeshauptstadt.
In seiner Partei wurde er lange der Zauberer genannt, weil er imstande war, seine Positionen auch den vermeintlich Unbekehrbaren mit gewinnender Gelassenheit zu vermitteln. Dabei ist Ole von
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