Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
Akkuratheit seines Zuhauses bildet eine eindrucksvolle Synthese mit seiner Erscheinung und dem aufgeräumten Geist. Mehr als ein Dutzend Arbeiter wuseln herum, nach vierjähriger Bauzeit emsig mit der Vollendung des imposanten Bauwerks beschäftigt. Dass er für den Umbau seines Hauses länger brauchen könnte als für den der Telekom, mag er so nicht bestätigen. Er hoffe doch, dass sein Haus irgendwann mal fertig sein wird, plänkelt er lachend. Ron Sommer ist extrem gelassen. Auch wenn er ab und an mal unvermittelt aufspringt, um das handwerkende Orchester neu zu dirigieren, wirkt er so souverän, als folgten selbst die Abweichungen einem exakten Plan.
Der Tag, als er verstanden hat, was es heißt, Vorstandsvorsitzender eines deutschen Volksunternehmens zu sein, war Silvester 1995/96. An diesem Tag sollte die größte Gebührenreform der Telefon-Geschichte vonstattengehen. Eine Umstellung, ebenso notwendig wie störungssensibel. Es wurde der größte anzunehmende Unfall für einen reformwilligen Unternehmenslenker und der schlechtestmögliche Einstieg in seine neue Lebenswirklichkeit.
Irgendein kleiner Softwarefehler, noch dazu von einem Dienstleister verursacht, führte dazu, dass Tausende Deutsche, die beim fernmündlichen Verteilen ihrer Neujahrswünsche die Bewegung des Zählrädchens an ihrem Telefonapparat aufmerksam verfolgten, feststellen mussten, dass das Drehtempo einem normalen Wochentag, nicht etwa dem gemäßigten Feiertagstarif, entsprach. Ein Aufschrei der Empörung ging durchs ganze Land. Telefonieren ist eine Volksbefindlichkeit. Die Bild -Zeitung machte sich zum Organ des nationalen Zornes und zum Anwalt der unzähligen Großmütter, die es sich nun nicht mehr leisten konnten, mit den Enkeln an fernen Studienplätzen zu plaudern. Die ausschneidbare Postkarte an Ron Sommer: »Nehmen Sie diese Reform zurück, mit der Bild titelte, erreichte ihn tonnenweise. Auch Grüße, die drastischer formuliert waren als der nicht eben zimperliche Boulevard-Vordruck. Anrufe von zürnenden Politikern, die bestens munitioniert gegen die Privatisierung Sturm liefen. Und Morddrohungen zuhauf.
Nun brauchte das Unheil einen Repräsentanten. Und das Unternehmen einen Anführer, dem es gelingt den eingeschlagenen Weg zu verteidigen, Fehler einzuräumen, auf die Empörten zuzugehen, ohne dabei den Kurs zu verlieren. Den veränderungsgeschüttelten Mitarbeitern, die längst noch damit beschäftigt waren, die unterschiedlichen Systeme der wiedervereinigten Länder anzugleichen, Orientierung zu geben. Veränderung verursacht Verunsicherung. Die Stimmung war lausig. Nach der vorausgegangenen Teilprivatisierung der Briefzustellungssparte der Post sprachen sich zwei Drittel der Telekombelegschaft gegen die Nachahmung dieses Vorgangs in ihrer Firma aus. »Beim ersten Börsengang zeichneten dann zwei Drittel unserer Mitarbeiter Telekom-Aktien«, skizziert Ron Sommer den Stimmungsumschwung bei seinen Angestellten mit leidlich unterdrückter Genugtuung. Zahlen, die die fulminante Entwicklung der Telekom und die Belastbarkeit seiner Vorhersagen belegen, hat er zuhauf parat.
Zur Befriedung der Nation und der Ermutigung seiner eigenen Leute wählte er das Fernsehstudio. »Talk im Turm« mit Erich Böhme, sein erster Auftritt in einem solchen Format. Neben dem wütenden Oppositionspolitiker und Privatisierungsgegner Kurt Beck und einer repräsentativen Großmutter, um den Kontakt mit ihren Angehörigen beraubt, blieb ihm von vornherein nur die Rolle des Prügelknaben. Er bereitete sich Tage auf den Showdown vor, probte seine Argumente und einen verständnisvollen Ton, frickelte sich in die kleinsten Details seines undurchdringlichen Großunternehmens. Und ging als Gewinner aus dem scheinbar vorentschiedenen Spiel. »Damit war die entscheidende Schlacht geschlagen«, radikalisiert er den Auftritt, der den wankenden Privatisierungsplänen den Weg ebnete. »Zweihundertfünfzigtausend Mitarbeiter haben gefühlt: Da stellt sich einer vor uns.« Und er hat verstanden, wie es ist, ganz vorne zu stehen. Erleichtert sei er gewesen, als das Scheinwerferlicht ausging – und sein Stern auf. Und mit diesem seine Idee von einem modernen Telekommunikationsunternehmen. »Vor allem aber«, erinnert er sich, »fiel der Druck ab, in Anbetracht all dessen, was auf dem Spiel stand.«
Für Menschen in vielbeachteten Positionen sind die Momente des Erfolgs häufig die der Erleichterung. Im Bewusstsein der Kausalitäten des Misserfolges liegt die
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