Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
Freude vor allem in dessen Vermeidung. Darin, dass der Erfolg einen Pulsschlag lang Spielraum verschafft, Luftholen ermöglicht, vor der nächsten Herausforderung. Pluspunkte anzusammeln, als Vorrat für die unvermeidlich folgende Fehlentscheidung, wird dem Entscheider nicht mehr zugestanden. Die Hoffnung auf eine differenzierte Abwägung des Gesamtwerkes ist längst Nostalgie. Mit der zunehmenden Geschwindigkeit aller Prozesse erfolgt die Benotung, nicht nur bei Sportlern, sondern auch bei Managern und insbesondere bei Politikern inzwischen nach Tagesform. In Erwartung täglicher Höchstleistungen werden Zensuren am Ende jedes Schultages vergeben. Der Handelnde wird zum Getriebenen. Die Bedrohung permanenter Beurteilung verführt dazu, Entscheidungsprozesse abzukürzen, um Ergebnisse vorzuweisen. Die zunehmende Notwendigkeit, Sachverhalte im Sinne der Vermittelbarkeit auf konsumierbare Häppchen zu reduzieren, steht im krassen Missverhältnis zur steigenden Komplexität der Problemstellungen.
Ron Sommer hat sich nicht darum gekümmert, sich selbst zu erklären. Er hatte keine Neigung zu antrainierter Possierlichkeit. Dafür hatte er immer viel zu viel zu tun. Auch damals, als er umjubelt wurde, als Popstar der Wirtschaftswelt, Analysten und Anleger ihn zum Börsenheld stilisierten und Politiker ihn für ihre Beratungszirkel umgarnten, schwebte er nicht auf einer magentafarbenen Wolke. »Ein so großes Unternehmen wie die Telekom steht immer unmittelbar vor der nächsten schwerwiegenden Entscheidung.« Er gewöhnte sich an die Sorge – »wo geht die nächste Bombe hoch« – unter der Morgendusche. Und an das euphoriedämpfende Verantwortungsgefühl, das ihn täglich begleitete, weil er um seinen Einfluss »auf das Land, die Wirtschaft, die Zukunft« wusste.
Heute vermisst der in Haifa geborene Polyglotte diesen Einfluss nicht mehr. Aber jetzt in seinem prachtvollen Garten, ist er, zehn Jahre nach seinem Ausscheiden, sofort wieder Telekomchef. Wenn er über die aktuellen Herausforderungen der Telekommunikationsbranche philosophiert, verraten seine lebhaften Augen ungebrochenen Enthusiasmus. Virtuos jongliert er mit internationalen Vergleichszahlen, changiert zwischen Vergangenheitserklärung, wagemutigen Zukunftsthesen und sentimentaler Symbolik: »Wann immer ich den Telekom-Jingle höre, dann denke ich, das Unternehmen ist doch mein Baby«.
»Mein Baby« sagt er ohnehin oft, wenn er über seine »spannendste berufliche Aufgabe« sinniert. Den Widerspruch, der aus diesem Bild entsteht, zum Image des bindungslosen Managertypus, der längst nicht mehr Chef, sondern Chief Executive Officer eines Unternehmens ist, bemerkt er selbst dabei nicht. An keiner Stelle wirkt Ron Sommer bitter, aber der Verlust, den er bei seinem Abschied empfunden hat, bebt dann und wann in seiner sonoren Stimme nach: »Mein Baby war plötzlich nicht mehr in meinem Arm.« Heute spricht er davon wie ein Vater, der sich liebend verklärt erinnert an die Zeit, als ihm das Kind noch anvertraut war, er mit seiner Erfahrung und Autorität die Richtung vorgeben konnte, wohl wissend, dass es nun besser ist, getrennte Wege zu gehen.
Er wäre lieber noch ein bisschen länger geblieben, hätte den Auszug gern besser vorbereitet und als Aufsichtsratsvorsitzender dem selbstgewählten Nachfolger noch die eine oder andere Hilfestellung gegeben. Aber es kam anders.
Der Börsengang der Telekom ist das entscheidende Kapitel für Ruhm und Abstieg des Ron Sommer, aber es ist auch ein Stück gesamtdeutsche Geschichte.1996 brachte die deutsche Telekom die erste Volksaktie in einer damals beispiellosen Werbekampagne an die Börse und machte Millionen Deutsche zu Aktionären. Die Euphorie um den Börsengang war nicht zu bremsen. Frenetisch wurde der Einzug des allumfassenden »T« in die bundesdeutschen Haushalte gefeiert. Die magentafarbenen Radprofis rasten unaufhaltsam durch die französischen Berge, TV-Liebling Manfred Krug war das Gesicht der freundlichen Geldvermehrung und trug als Makler dieses gesamtdeutschen Einheitsthemas zur Beschleunigung der Wiederverbundenheit bei.
Ron Sommer zieht die Augenbrauen zusammen und eine eindrucksvolle Falte gräbt sich auf seiner Stirn ein, wenn er an diese Tage denkt, die eigentlich sein Meisterstück sein sollten. Ob er damals, im Taumel der allgemeinen Glückseligkeit bereits vorhergesehen hat, dass darin auch sein Ende liegen könnte? Nein, das wäre nun zu viel der nachträglichen Deutungshoheit. Aber der Hype
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