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Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Titel: Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Kraus
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erkennen.
    Wandlungen hat sie so manche erlebt in ihrem Leben. Von Andrea Dürr zu Andrea Ypsilanti nach der Hochzeit mit einem griechischen Prinzen. Von der spöttisch beäugten Ministerpräsidentinnenanwärterin zur gefeierten Kandidatin. Und zurück. Viel weiter zurück.
    Es fällt ihr spürbar schwer, über die Vorgänge des Jahres 2008 zu reden, aber es gibt auch kein Entkommen. Das Gefühl, unverstanden zu sein, allein zu bleiben mit den Erkenntnissen und ungehört in den Erklärungsversuchen, muss sich wie ein Gefängnis anfühlen. Wie oft sie all das schon erzählt hat? »Keine Ahnung«, sagt sie mit lakonischem Schulterzucken. Oft, sehr oft. Vor allem auf der Suche nach Verbündeten. Nach geteilter Geschichte, Komplizenschaft auch in der Niederlage. Aber ihre Niederlage kennt keine Komplizen. Sie hätte mehr erwartet von den Mitstreitern, gerade von denen in ihrem unmittelbaren Umfeld, die sie bestärkt haben, »alles genau so zu machen«. Oder von denjenigen in ihrer Fraktion, die sie in der Situation von Neuwahlen abgehalten haben, gegen ihre Überzeugung. Eine allzu intensive Auseinandersetzung mit den Geschehnissen und Fehleinschätzungen wollte keiner. Die Zurschaustellung von Andrea Ypsilantis Versagen bot genug Schlupflöcher für alle. Vorbei. »Nach vorne schauen«, die strapazierte Trostformel der Unterlegenen.
    Andrea Ypsilanti hat es sich nicht so leichtgemacht und so sucht sie noch heute nach Deutungen im Gesicht des Gegenübers. Auch in meinem. Sie fragt nach, hört sich meine eigene Geschichte aufmerksam an, auf der Suche nach Gemeinsamkeiten, in der Hoffnung, dass die erahnten Ungerechtigkeiten miteinander zu sprechen beginnen.
    Die Unterhaltung mit Andrea Ypsilanti ist ein Kaleidoskop der Erinnerungsfragmente, eine Reise durch unterschiedliche Bewusstseinsebenen. Scharfsinnige Reflexionen, unbarmherzige Selbstanklagen wechseln mit Verratsvorwürfen und Mythenbildung. Und alles klingt stimmig. Beteiligte wie Außenstehende mögen sich in einer der Positionen wiederfinden. Sie lebt mit dem Wandeln zwischen allen.
    An die Situation, in der sie die Entscheidung traf, mit Duldung der Linken eine Minderheitsregierung zu bilden und sich zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen, kann sie sich nicht mehr erinnern. Es gab so viele dieser besonderen Momente. Den des Wahlerfolges. Getrübt vom Spott über die Bilder des aufgeregt soufflierenden Ehemannes. Den Tag, als Dagmar Metzger ihre Zustimmung versagte. Den, als sie von der Pressekonferenz der vier Abweichler erfuhr, die sie Verräter nennt. Den ihres Rücktrittes. Und so viele dazwischen, die sie an die Grenze ihrer Belastbarkeit geführt haben. Und zum Verlust ihrer Glaubwürdigkeit.
    »Ich habe meine persönliche Integrität für die Fraktion und den Regierungswechsel geopfert«, sagt sie. Und dass sie den Wählern etwas schuldig war, die mehrheitlich den Wechsel wollten. Dass Hannelore Kraft mit einer solchen Minderheitsregierung kurz darauf das größte deutsche Bundesland führte und nach einer Neuwahl für ihre Politik furios im Amt bestätigt wurde, mit einer viel komfortableren Mehrheit gar, das zeigt, »was möglich gewesen wäre in Hessen«. Aber noch nicht war. Die Linke galt damals als bundespolitisches Schreckgespenst, alles war ideologisch überhitzt, besonders in der SPD. Dass sie Neuwahlen wollte, um klare Verhältnisse zu schaffen, statt ihre Wahlaussage zu brechen, weil sie felsenfest an ihre Inhalte und an eine Bestätigung des Wählerauftrags glaubte, damit jedoch in ihrer Fraktion gegen eine Wand lief, das hat kaum jemand geschrieben.
    Weil sie dann doch anders entschieden hat, »nach einem tagelangen Zerriss in mir«. Weder isoliert von den mahnenden Stimmen, noch getragen von den unterstützenden, sondern nach einem ermüdenden Prozess, »hunderttausend Gesprächen« und beinahe ebenso vielen Meinungen, die sie vollends verwirrten. Irgendwann musste sie die Argumente gewichten und vor allem einen Entschluss fassen. Macht entscheidet.
    Danach war das öffentliche Bild gesetzt. Der Boulevard bedachte sie wegen ihrer Zweckromanze mit den Linken mit ehrabschneidenden Wortspielen, und auch die seriösen Zeitungen kommentierten mit einer beispiellosen Härte. »Diese Wucht hat uns alle total überrascht, es gab keine Strategie für eine solche Eskalation.« Sie hat versucht, ihre Gründe zu vermitteln, zur Sachlichkeit zurückzukehren und ihre Inhalte »hoch- und runterzubeten«. »Aber es wollte niemand hören.« Irgendwann hat

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